Ehrenfeld Hopping und was St. Josef daraus macht…

Für junge Leute eine angesagte Veranstaltung schon seit einigen Jahren, von uns eher mit zwiespältigen Gefühlen bedacht, wenn wieder mal in den Hauseingang uriniert wird oder lange noch nach Mitternacht die Scharen geräuschvoll durch die Nachbarschaft ziehen.

Es geht aber auch anders, in diesem Fall meditativer und ruhiger: Unter dem Motto Jesus Connection Downtown Ehrenfeld lud auf Initiative des Pfarrgemeinderats und tatkräftig ausgeführt von verschiedenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus der KJG der Kirchturm St. Josef an der Venloerstraße ein. Gezeigt wurden Lichtinstallationen unter der Decke, im Chorraum und im Eingangsbereich, die sich parallel zur Musik veränderten. Bin kein Experte, würde aber die Musik als ruhigen Drums ’n Base bezeichnen, die Bilder zeigten unter anderem Vorgänge aus der Natur, z.B. sich entfaltende Blüten oder Meeresbrandung. Eine Art Dokumentarfilm von Francis Coppola, die so ähnlich arbeitet, lief vor vielen Jahren unter dem Namen Koyaanisqatsi in den Kinos.

Über 1.300 Besucherinnen und Besucher konnte die Veranstaltung für sich verbuchen. Es wäre naiv, die Besucher demnächst als Gottesdienstteilnehmer vor dem inneren Auge sehen zu wollen. Für viele war aber der Abend Anlass genug, ein altes Ritual wieder aufzunehmen und für einen geliebten Menschen oder um einer besonderen Sache willen ein Kerzchen aufzustellen. Die waren nämlich schon vor dem Ende ausgegangen. An Wein und Brot, die allen angeboten wurden, hat es jedenfalls nicht gefehlt und ich wünsche mir, dass dies nicht die letzte Jesus Connection Downtown Ehrenfeld war.

Von facebook zu fratzebook

Mein ehemaliger Kollege Jörg sprach scherzhaft von fatzebook, wenn es um den amerikanischen Social Media-Koloss ging. Inzwischen liegt es nahe, von fratzebook zu sprechen angesichts der vermittels dieses Portals vorgenommenen Manipulationen. Diese betreffen zwei Vorgänge, die sich überwiegend im Jahr 2016 ereignet haben: die Brexit-Entscheidung im Juni und die US-Präsidentenwahl im November, beides Mal begleitet von Kampagnen, denen man kaum das Attribut Informations-Kampagne geben kann. facebook hat auf beide Vorgänge in doppelter Weise eingegriffen: Einmal, indem es überhaupt den Rahmen schuf, indem die abgestimmte Werbung für Nutzer der Social Media-Plattform plaziert werden konnte. Zum anderen, indem es Analysefirmen gestattete, mit in facebook gewonnenen Daten solche Profildaten von Nutzern zu gewinnen, ohne die die zielgenaue Werbung nicht hätte erzeugt werden können. (Im Englischen wird für diese Art von Werbung der Begriff targeting verwendet.*)

• Die Zahlenlüge

Zuckerberg machte es, als die Vorwürfe gegen seine Firma immer gravierender wurden und er persönlich vor den amerikanischen Kongress und das englische Parlament zitiert wurde, auch nur so, wie Politiker abwiegeln und bagatellisieren würden: Nur das zugeben, was sich gar nicht mehr bestreiten lässt. Eine Unwahrheit musste trotzdem ziemlich schnell bei dieser publizistischen Auseinandersetzung korrigiert werden: Der Firma Camebridge Analytica wurde gestattet, nicht nur auf die bei Facebook hinterlegten Daten einer als Quiz getarnten Umfrage unter 53 Millionen Nutzern zuzugreifen – hier hätte man noch eine gewisse Freiwilligkeit und Einwilligung der Betroffenen unterstellen können – sondern es waren auf einmal 87 Millionen. Wie das? Facebook hatte gestattet, dass über den Kreis der Befragten hinaus auch die Adressbücher der ?Quiz?-Teilnehmer ausgelesen und ausgewertet werden konnten. Keiner von diesen zusätzlichen 34 Millionen facebook-Nutzern konnte in irgendeiner Weise damit rechnen, in dieser Form benutzt zu werden.

• Beeinflussung des Referendums um einen möglichen Brexit im Juni 2016

Gerade bei Entscheidungen, deren Ausgang als schwer vorhersehbar bewertet wird und in denen sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnet, kann – wie hinterher stolz verkündet wurde – eine mittels targeting unterstützte Kampagne den entscheidenden Vorteil bringen: Cummings, Leiter von Vote Leave sagte rückblickend auf den für ihn erfolgreichen Brexit-Ausgang zu der Rolle von AIQ (AggregateIQ): ?We couldn’t have done it without them.? Als entscheidend erwies sich nach Ansicht des Guardian , dass Cummings fast sein gesamtes Werbe-Budget von Vote Leave darauf verwendete, genau die 600.000 Wähler mit auf sie zugeschnittenen Werbe-Häppchen zu füttern, die in der Abstimmung den entscheidenden Unterschied ausmachten. (Dass durch kreative Buchführung die festgelegten Höchstbeträge, die politischen Organisationen während der Brexit-Kampagne eigentlich nur hätten zugewendet werden dürfen, umgangen wurden, ist eine zweite Information dieses Artikels. Cambridge Analytica und AIQ sind übrigens dadurch miteinander verbandelt, dass die Mutterfirma SCL Elections ein Austauschabkommen mit AIQ abschloss, indem Rechte an geistigem Eigentum weitergegeben wurde.)

Ob nun Auswertungsverfahren und / oder auch die von Data Analytica gewonnenen Nutzerprofile den Weg zu AIQ fanden, ist – soweit ich sehe – noch nicht beantwortet.

• Beeinflussung der US-Präsidentenwahl im November 2016

Dass die Wählerschaft der USA nicht zuletzt durch russische Trollfirmen beeinflusst wurde, kann man wohl inzwischen als erwiesen ansehen. Hier ist vor allem der Namen der Petersburger Firma Internet Research Agency zu nennen. Selbst Zuckerberg, der lange irgendwelchen Einfluss von facebook auf die Präsidentenwahl weit von sich wies, muss jetzt einräumen, dass da wohl doch ein schwer quantifizierbarer Einfluss festgestellt werden muss. Und dass facebook den institutionellen Rahmen für sehr subtile und wirksame Beeinflussung von immerhin 137 Millionen Wählern der USA geliefert hat, ist eine Hausnummer, die noch sehr genau bewertet werden muss.

• …und die Konsequenzen?

Wahrscheinlich ist es nur schwer möglich, facebook und damit Zuckerberg strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Für die Zukunft wäre es jedoch unabdingbar, dass Kontrollmechanismen verhindern, dass Wahlen von denjenigen gewonnen werden, die mit den höchsten Werbebudgets und den raffiniertesten targeting-Strategien arbeiten können. Die unlängst ergänzte EU-Datenschutzverordnung kann in diesem Sinne nur ein erster Anfang sein. Angesichts der Reichweite und Bedeutung von facebook & Co muss man aber vermutlich deutlich weiter ausholen. Inzwischen sollte jede/r überlegen, was er facebook anvertrauen möchte oder ob man diesem Netzwerk nicht zumindest privat den Stecker zieht.

[Postscriptum]
Inzwischen melden verschiedene Medien, dass Camebridge Analytica Insolvenz anmelden musste. Mit viel Optimismus kann man das als demokratie-freundlichen Prozess der Selbstregulierung betrachten. Die Werbe-Kunden mochten die Firma jedenfalls nicht mehr beauftragen…

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* Für nicht mit IT-Fragen betraute Menschen ist es schwer nachzuvollziehen, wie die schiere Kombination von großen Gruppen von Einzelmerkmalen dazu geeignet ist, sehr weitreichende Aussagen über Personen zu machen. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass es reicht, die likes einer Person, ihr Kaufverhalten, ihre Kommentare und ihr Geschlecht zu kennen, um mit großer Wahrscheinlichkeit die sexuelle, politische und religiöse Orientierung des Betreffenden vorauszusagen.

Wie ich dann doch kein zweiter Michael Jackson wurde

links eine leichte Einbuße im Hören höherer Frequenzen

Nein, keine besonderen Tanzschritte oder ein herausragendes musikalisches Talent bringen mich in die Nähe von Michael Jackson, sondern eine Vielzahl von – nennen wir es mal so – körperlichen Umbauten: mit 12 die Mandeln entfernt zu bekommen, war ja noch Routine, ebenso wie die Kronen auf Backenzähnen. Aber wer trägt schon ein Gazenetz unter der Bauchdecke, hat keine Gallenblase mehr oder hat sich die Kurzsichtigkeit durch einen Laserhobel entfernen oder die Krampfadern ebenfalls per Laser veröden lassen? Dazu kommen noch ein ein halbes Dutzend weiterer OPs, mit denen ich hier nicht langweilen möchte.

Gestern fiel dann aber die Entscheidung, auf elektronische Öhrchen alias AudeoB90-10-Grundgeräte im Wert von immerhin 5.767 € zu verzichten – jetzt war Schluss mit den körperlichen Selbstoptimierung à la Michael Jackson. Es gibt dazu einen gesundheitliches und dazu ein grundsätzlichen Argument: In der Familie gab es den running gag, mir meine tatsächliche oder nur so empfundene Schwerhörigkeit immer mal wieder unter die Nase zu reiben. Auch in der Schule stehe ich schon mal auf dem Schlauch, wenn zwei Schüler mit mir gleichzeitig reden wollen und ich – dann wirklich – nur Bahnhof verstehe. In beiden Fällen hat aber das teure Gerät keinerlei Fortschritt gebracht: Weder in der Tischrunde noch in der Klasse gab es nennenswerte Vorteile mit den Öhrchen. Schön war es allerdings, im Sauerland die Vögel noch vielfältiger zwitschern zu hören oder klassische Musik differenzierter wahrzunehmen.

Meine Frage an den Akustiker, ob es denn keine Refurbished-Öhrchen zu einem günstigeren Preis gäbe, wurde so beantwortet. Die Heilmittelverordnung sehe leider nicht vor, dass diese durch Seriennummern identifizierbaren Geräte jemals wem anders verkauft werden dürften als dem ursprünglichen Käufer. (Werden jetzt die teuren Öhrchen die Halde des Elektronikschrotts vergrößern, wäre zu fragen?) Es verhält sich dabei wie mit der Pillenpackung, die beim Apotheker über die Theke wandert: Sobald sie eingesteckt wird, ist kein Umtausch oder eine Rückgabe mehr möglich, auch wenn nichts geöffnet wurde.

Deutschland erlaubt sich hier einen unbegreiflichen Luxus: Statt Marktmechanismen für einen Kostendruck auf der Angebotsseite sorgen zu lassen und Leute mit niedrigeren Gesundheitskosten zu beglücken, schottet man Märkte mit sachfremden Gründen ab und pflegt Pillendreher und Gesundheitsdienstleister. Wäre an der Zeit, hier gesetzliche Altertümer abzuschaffen!

Ikarien – „Wie eine Träne im Ozean” 2.0

Uwe Timm hat viel Zeit benötigt, um einen Stoff zu bändigen, zu dem es für ihn eine direkte familiäre Verbindung gibt – seine Frau Dagmar Ploetz ist Enkelin der Roman- und historischen Figur Alfred Ploetz. Diese Zeit hat aber dem 500-Seiten-Werk gut getan, entstanden ist nämlich ein vielschichtiges, literarisch verfremdendes Zeitzeugnis der Jahre von 1890 bis zu den ersten Nachkriegswochen 1945. Im Mittelpunkt steht dabei Ploetz als führender europäischer Eugeniker der 20er und 30er Jahre.

Ausgangspunkt ist der Auftrag an den deutsch-amerikanischen Soldaten Michael Hansen – zweite wichtige Figur im Roman – zu erkunden, ob von den Mitgliedern des ehemaligen Ikarien-Bundes noch Gefahr für die amerikanische Militäradministration ausgehe. Ein solcher hat Bund tatsächlich existiert und umfasste im Breslau vor der Jahrhundertwende neben Ploetz, die Brüder Gerhart und Carl Hauptmann, Carl Steinmetz und einige andere. (Gruppen, die sich auf den Roman Étienne Cabets Die Reise nach Ikarien von 1840 bezogen und der in diesem formulierten Sozialutopie verpflichtet fühlten, hatten sich auch in verschiedenen europäischen Ländern gebildet.) Dieser Michael Hansen ist als Junge – so der Roman – noch in Hamburg aufgewachsen und stammt – wie Timm selbst – aus dem Stadtteil Eppendorf. Hansen besucht im Roman noch einmal diesen Ort, um sich seiner Kindheitseindrücke zu vergewissern. Timm hat mit dieser fiktiven Person dem verstorbenen Bruder, der 1943 als SS-Soldat starb, ein Bild entgegengestellt: Hätte der Bruder noch rechtzeitig Deutschland wie Hansen in Richtung USA verlassen, wäre ihm sein trauriges Schicksal vermutlich erspart geblieben.

Hansen spürt auf seinem Erkundungsauftrag bald mit Wagner – dritte tragende Figur im Roman – einen ehemaligen Bündnisgenossen von Ploetz auf. In sich über ein Vierteljahr hinziehenden Befragungen von Wagner durch Hansen wird eine quasi-dokumentarische Sicht auf Ploetz in den Roman eingeführt. Wagner und Ploetz teilen laut dieser Berichte zu Beginn eine Menge: Beide flüchten nach Zürich, um sich der Festsetzung durch die Polizei im Zuge der Sozialistengesetze der 90er Jahre zu entziehen. Sie besichtigen nicht nur eine Ikarier-Kolonie in den USA gemeinsam (und verzweifeln am dann doch eigensüchtigen Agieren vieler von deren Bewohnern), sondern sie verehren auch die gleiche Frau. Schrittweise aber entfernen sich beide in weltanschaulichen Dingen von einander: Während Wagner den sozialistischen Ideen treu bleibt und mit Vorträgen vor linken Zirkeln eine prekäre Existenz sichert, setzt Ploetz auf die biologische Verbesserung der Gesellschaft. Er formuliert Ideen der Eugenik unter dem Stichwort Rassenhygiene und will die Leistungsfähigen fördern und weniger kompensatorisch die Schwächen der Benachteiligten ausgleichen – Ideen, die durchaus auch bei Sozialdemokraten z.B. in Schweden Anklang fanden.

An dem Wissenschaftler Ploetz kann Timm exemplarisch nachzeichnen, wie ein zunächst ehrenhaft gestarteter Wissenschaftler – Ploetz macht sich immer wieder für die Rechte von Frauen stark – sich später zum geistigen Steigbügelhalter der Nazis macht, der Hitler eine persönlich Ergebenheitsadresse schickt. Ploetz ist aber auch derjenige, der dafür sorgt, dass Wagner aus einem KZ entlassen wird und in einem Antiquariat die Nazi-Zeit überdauern kann. Was hiervon geschichtlich verbürgt oder Zutat von Timm ist, ist vielleicht nicht so entscheidend. Timm fügt seinem Roman einige Literaturangaben an, mit deren Hilfe sich diese Frage sicher beantworten ließe. Die Lehre, die der Roman geben könnte, ist eher, wie sehr um eines vielleicht in manchen Dingen nachvollziehbaren Konzeptes willen Prinzipien wie Unantastbarkeit des Lebens und freie Entfaltung auch von weniger starken Menschen über Bord geworfen werden dürfen.

Gerade im Nachzeichnen der vielfältigen Verästelungen einer ideologischen  Debatte in einer Gruppe hat mich der Roman stark an Manès Sperbers Wie eine Träne im Ozean erinnert. Beide Romane behandeln nicht nur in etwa die gleiche Zeit, sondern geben auch Zeugnis davon ab, wie Menschen, die ihren Überzeugungen gegen die vorherrschende Meinung innerhalb oder außerhalb ihrer Bezugsgruppen treu bleiben, in der Dissidenz notgedrungen überleben müssen. Sie zeugen von einer Debatten- und Streitkultur, von der ich mir für heute gerne etwas zurück wünschen würde.

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Biographischer Nachsatz: Wie sehr die Nachkriegsmonate und -jahre die Menschen, die sich jahrelang hüten mussten, ihre wahre Gesinnung zu äußern, unbotmäßige Musik zu hören oder die damit beschäftigt waren, ihr nacktes Leben zu erhalten, revitalisierte, erinnere ich aus einer Erzählung meines Vaters: Er berichtete mit glänzenden Augen von den Nächten, in denen ein westerwälder Vetter am Klavier in großer Runde in die Tasten haute. Alleine die Lust und der Alkohol, die dabei sicher beteiligt waren, wären Wochen vorher leicht als systemwidrig gebrandmarkt worden. Ich stelle mir solche Abende als die Wiederentdeckung der Jugend nach so vielen Jahren in einem Scheiß-Krieg vor. „So viel Anfang war nie” – hieß treffender Weise ein Bildband und eine Ausstellung über diese wichtige Zeit aus dem Jahre 1989.

 

Notsignale aus dem Sendungsraum

Sendungsraum Köln-Mitte

Wäre es nicht so traurig, man müsste darüber lachen. Wie der Stadtanzeiger berichtete, werden sämtliche Innenstadt-Pfarreien von Köln zu einer Großgemeinde zusammengelegt. Das ganze firmiert unter dem Titel Sendungsraum Köln-Mitte: Man muss sich im Keller, wenn es duster wird, halt Mut machen. Das kann man als menschliche Reaktion akzeptieren. Was aber ist gewonnen, wenn Kirche – in Gemeinden erfahrbar – auch räumlich immer weiter von Menschen wegrückt und die wenigen Priester weiter verschlissen werden?

Anderes wäre denkbar: Hat nicht unser Papst davon gesprochen, notfalls auch eine Garage als Ort der Zusammenkunft von Christen in Betracht zu ziehen? Und selbst wenn es vielleicht noch heimeligere Orte für unsere Zusammenkünfte aktuell gibt, muss doch vor allen Dingen auch über das Rollenverständnis innerhalb der katholischen Kirche nachgedacht werden. Seit dem II. Vatikanischen Konzil weiß doch auch diese Kirche, dass es ein allgemeines Priestertum aller Gläubigen gibt. Zögernd gibt es – wohl eher der Not gehorchend –  kleine Bewegungen in diese Richtung, indem z.B. Leitungsfunktionen in Gemeinden oder sogar übergeordneten Gremien an Laien übertragen werden. (Ein Beispiel: Gabriele Rüttinger als Ressortleiterin für Grundsatzfragen und Strategie im Münchner Bistum) Auch für den Bereich Beerdigungen kündigen sich Neuerungen sogar hier in Köln an, wenn – dem Vernehmen nach – Gemeindemitglieder mit dem Beerdigungsritus betraut werden.

Dass noch immer große Angst vor allzu basisnahen Initiativen bei der Amtskirche besteht, mussten Frauen in Rodert bei Bad Münstereifel erfahren. Sie hatten über Jahre zu Weihnachten Gottesdienste ohne Priester in der Kapelle des Ortsteiles organisiert, die viel Zuspruch erhielten. Das war offenbar zuviel, diese gelebte christliche Praxis wurde vom Bistum verboten.

Gelebtes Christentum ist aber mehr als das, was die amtskirchliche Unbedenklichkeitsbescheinigung erhält. Eine wichtige Einsicht verdanke ich in dieser Hinsicht dem Jesuiten Klaus Mertes, der gesagt hat, Gott spricht durch die Welt. Dieser Satz ist für mich entscheidend, um aus einer kirchen-zentrierten Sicht von Christentum herauszukommen. Ich verstehe ihn so: Wenn Kirche es in unseren Breiten nicht schafft, die Essenz des Christentums weiterzugeben, müssen wir neue Formen von Kirche denken und sehen, wo auf anderen Wegen christliches Denken und Handeln fortgeführt werden kann. Dies wird sicher ein Minus an sakramentalen Formen einschließen, gleichzeitig die Verantwortung aller Gläubigen für die Weitergabe von Christlichem ganz anders herausfordern und betonen und – hoffentlich – eine Vielfalt von basis-nahen Aktivitäten mit sich bringen.

Die oft auf die Hierarchie pochende Amtskirche wird sich mit dieser Vielfalt anfreunden müssen oder sie wird Kirche vollends ins gesellschaftliche Aus befördern. Wie heißt es bei Matthäus 6,25: Strebt zuerst nach dem Reich Gottes und alles andere wird euch hinterhergeschmissen.

Worauf warten wir also…

 

„Junge Stimmen für Afrika” – Oper für Anfänger und Fortgeschrittene

In denkbar unspektakulärem Ambiente – der Pfarrsaal von St. Anna am Christine-Teusch-Platz ist praktisch, aber wahrlich keine Schönheit – fand gestern schon zum 14. Mal eine Kombination aus Benefiz- und Opernkonzert statt. Raum und Anlass stellt dabei der Kirchturm St. Anna zur Verfügung – eine eigenständige Pfarrei gibt es schon lange nicht mehr. Unterstützt wird nämlich ein Projekt in Ligunga / Tansania, das von St. Anna schon seit 40 Jahren gefördert wird.

Der künstlerische Part dieser Veranstaltung wird von Thomas Heyer und seinen Meisterschülerinnen und -schülern gefüllt. Sie halten an der Tradition fest, hier im familiären Umfeld – Professor Heyer wohnte bis vor wenigen Jahren Wand an Wand zu St. Anna – auch Neulingen auf der Bühne eine erste Auftrittsgelegenheit zu geben. Dass dann auch die erfahrenen Schülerinnen und Schüler, die in Frankfurt oder anderen bedeutenden Opernhäuser auftreten, weiterhin sich hier ein Stelldichein geben, ist ein Riesenglück für St. Anna und alle Opern- und Operettenliebhaber*innen im ganzen Sprengel.

Auch gestern steigerte sich der Applaus kontinuierlich von Beginn bis zum Ende der 2 1/2-stündigen Vorführung. Schwerpunkte waren die italienisch-sprachige Oper (ich war hingerissen von der Figaro-Arie Largo al Factotum), russisch-sprachige Stücke sowie zum Schluss deutschsprachige Einlagen aus Operetten („Der keusche Josef” – allerliebst als Duett). Erstaunlich, wie manche Anwesende offenbar jedes Wort leise mitsingen konnten. Das Ganze wird noch dazu von Thomas Heyer sehr unterhaltsam moderiert und manches zu den Besonderheiten der Stücke erklärt, so dass man die speziellen Anforderungen mancher Stücke erahnen kann.

Wenn man bedenkt, dass man hier nur 10 Meter von der Bühne entfernt sitzen kann (vergleichbare Plätze in Opernhäusern kosten gerne auch mal dreistellige Euro-Beträge), ist dies der ideale Einstieg für alle Menschen, die das Unterhaltsame und Anrührende des Opern- und Operettengesangs in konzentrierter Form kennenlernen wollen. Hat man sich dann als Scheinwerfer vor dem Sammelkorb betätigt, kann man beschwingt und gut unterhalten nach Hause gehen.

Bernie Gunther-Krimis – Spannung und Unterhaltung auf hohem Niveau

Angelsächsische Krimi-Autoren legen schon lange ein hohes Niveau beim Krimi-Schreiben vor: Hier bei uns gab es schon intensive Lektüre-Phasen mit Kathy Reich, Ian Rankin, Ken Bruen oder Minette Walters. Der besondere Reiz der Bernie Gunther-Krimis von Philipp Kerr liegt darin, dass Kerr die Hauptperson, besagten Bernie Gunther, in den gelesenen Titeln immer auch in der Nazi-Zeit auftreten lässt.

Bernie Gunther agiert dabei als desillusionierter Cop und Ermittler, der von hohen Nazis wie Heydrich oder Goebbels für Spezialaufträge engagiert wird und widerstrebend und mit frechem Mundwerk zu Diensten ist, der sich aber seine Widerständigkeit nicht abkaufen lässt.

Zum Einstieg empfehle ich Prussian Blue, einen Krimi, der auf zwei Zeitebenen spielt (Berghof Hitlers 1939 und Riviera 1956) und einen bis zum Show-Down im Saarland in Atem halten kann. Auch intellektuell kein Dünnbrettbohrer-Zeug: Philipp Kerr hat die Materie gut recherchiert und teilt einem im Anhang wichtige Informationen zu den realen historischen Personen mit, die er in seiner Roman-Umgebung auftreten lässt.

[Philip Kerr – † 23.März 2018]

Gottesdienst als Entschleunigungsübung

Wahre Non-Konformisten gehen heutzutage in die Kirche und profitieren auch ganz weltlich von diesen Gottesdienstgängen. Die vergangenen drei Wochen boten reichlich Gelegenheit für Gottesdienstbesuche und haben mir verdeutlicht, was die Nebeneffekte von diesen sind.

Gerade in der vorweihnachtlichen Zeit, die Konzentration und Vorbereitung bringen sollte, sind auch die meisten Christinnen und Christen nur schwer in der Lage, dem hektischen Treiben etwas entgegen zu setzen. Wenn man dann aber im Kirchenschiff sitzt (vielleicht sogar ein paar Minuten vor Gottesdienstbeginn gekommen ist) und den Raum mit seinen Ausmalungen, Glasfenstern und Gerüchen (Weihrauch, aja: bin katholischer Christ) auf sich wirken lässt, kann der Ausstieg aus der Alltagshektik losgehen. Immer wieder bietet mir der Gottesdienst im Kyrie, der Opferung oder der Danksagung nach der Kommunion kleine Pausen, in denen mir dann ein Sortieren der Dinge, die mich beschäftigen, gelingt oder ich einfach nur z.B. mittags in St. Peter, Jabachstraße, genieße, wie die Sonne die Kirchenfenster durchdringt und ein meditatives Farbspiel erzeugt. Die alltagsgesättigten Ideen und Sortierereien haben fast immer einen religiösen Anteil, wenn ich danke für Dinge und Begegnungen, die ich mir vergegenwärtige oder die ich erinnere, oder Beistand erbitte für Vorhaben und Aufgaben, die vor mir liegen.

Klar, man kann viele von diesen Effekten auch in einem guten Museum erzielen oder vielleicht auch bei einem Saunabesuch oder Langstreckenlauf erleben. Eine Sache bleibt dann aber Gottesdiensten vorbehalten: Eintauchen in einen Sprachstrom, der immerhin auf fast 2.000 bis 2.500 Jahre Tradition zurückblickt, und selbst für Zweifler und Ungläubige, zu denen ich dann auch immer mal wieder gehöre, viel Weisheit und Überdenkenswertes enthält. Kommen dazu noch gute Predigten, wie man sie in Köln unter anderem in Maria Lyskirchen oder St. Peter hören kann, kann man die Entschleunigung, wenn’s gut geht gar Justierung oder sogar Neuorientierung, noch auf die Straßenbahnfahrt nach Hause mitnehmen.

Kommern mit Puderzucker

Noah – Vom Wanderhund zum Rollenvorbild für Alterung

2004 waren die olympischen Spiele in Athen. Die Stadt wollte sich propper präsentieren und ließ alle Straßenhunde einfangen, die dann anschließend getötet werden sollten. Auch Noah – unser Hund – gehörte zu diesen Hunden, hatte aber das Glück, von Tierfreunden in ein Tierheim nach Wiehl verfrachtet zu werden. Dort haben wir ihn im Frühjahr 2005 gegen Erstattung einiger Kosten als Familienhund zu uns geholt.

Noah – Vorbesitzer von ihm, die mit ihm nicht zurecht gekommen waren, hatten ihn „Kevin“ genannt, wir sind dann schnell wieder zu seinem ersten Namen „Noah“ zurückgekehrt – hatte als junger Hund all’ die Flausen im Kopf, die auch andere Jungtiere und Jungmenschen an sich haben. In einer Hinsicht war er aber von Anfang an ziemlich besonders: Er konnte ziemlich bald an den Wanderungen teilnehmen, die nach der Familienphase immer mehr möglich waren. Mit einer Frauengruppe und einem zweiten Hund hat er eine beträchtliche Anzahl von Etappen auf dem Camino nach Santiago di Compostella auf dem ersten Teil durch die Eifel und Lothringen mitgemacht.

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