Näher, mein Woelki, zu dir

Woelki geht also einen Schritt weiter darin, Priester für die Diözese nicht länger an der Bonner Uni und ihrem bewährten theologischen Seminar ausbilden zu lassen. Er will die Ausbildung der Priesteramtskandidaten näher unter seine Fuchtel an die Kölner KHKT holen. (KStA 15.12.23) Dass Woelki ausgerechnet Kostengründe für diesen Schritt anführt („Aufhebung der personal- und kostenintensiven Doppelstrukturen”), ist eher lächerlich. Seine Rechtsberatung, die Kosten für viele Aufhebungsverträge (beim wievielten Pressesprecher sind wir eigentlich?) und die KHKT insgesamt haben schon viele Millionen Kirchensteuerbeträge weitgehend nutzlos vergeudet.

Dass der Priesterrat und die Laienvertretung im Erzbistum dieser Verlagerung der Priesterausbildung widersprechen? Nebbich, einen Woelki juckt so etwas nicht. Bliebe abzuwarten, ob Woelkis Schritt dem geltenden Konkordatsvertrag* standhält. Eine Art Normenkontrollklage könnte sich meiner und sicher vieler anderer Unterstützung sicher sein.

Koinzidenz der Ereignisse: Gerade melden die Nachrichten, dass ein anderer Potentat, in diesem Fall ist es Herr Erdogan, bei der Kontrolle der Imame die Leine ein wenig lockerer lässt. Die längst überfällige Verlagerung der Ausbildung der Imame nach Deutschland findet endlich statt. Schon merkwürdig, dass man einem Herrn Woelki Herrn Erdogan in diesem winzigen Detail als Vorbild vorhalten muss…

*Das Konkordat regelt das Verhältnis von Staat und Kirche. Es ist mehr als blamabel, dass das für Deutschland gültige Konkordat am 20. Juli 1933, also unter den Nazis, abgeschlossen wurde. In diesem Fall lässt sich aber sogar dem Konkordat etwas Positives abgewinnen: Es verlangt wissenschaftliche Standards bei der Ausbildung von Geistlichen. Diese sind an der Uni Bonn durch den Diskurs innerhalb der Falkultäten deutlich besser gegeben als an der KHKT.

Kardinalfehler Woelki #4

Dilige et fac ut vis. (Augustinus)

Dieser Satz des Kirchenlehrers Augustinus (*354 – †430) lässt sich mit Liebe und [dann] tue was du willst übersetzen. Man mag kaum glauben, was im Namen der Liebes-Religion Christentum in Köln aus diesem Satz gemacht wird. Ein Woelki springt nur allzu bereitwillig auf eine Denunziation des Mettmanner Pfarrers Ullmann in Rom auf, der gleichgeschlechtliche Paare gesegnet hatte.

Wer kann allen Ernstes daran zweifeln, dass sich schwule und lesbische Paare weniger lieben als dies Hetero-Paare tun? Kirche stände es nur zu gut an, angesichts der Vielzahl von schlecht aufgearbeiteten Missbrauchsskandalen in den eigenen Reihen hier mit Demut und Bescheidenheit voranzugehen.

Christoph Kuckelkorn hat die ganze Absurdität der Situation mit einem Facebook-Beitrag deutlich gemacht: Bierfässer werden gesegnet, gleichgeschlechtlich liebenden Paaren wird dieser Segen vorenthalten.

dilige et fass ut vis – die Lesart des Kardinals

Gut, dass drei Bischöfe in NRW wie auch Stadtdechant Kleine deutlich gemacht haben, dass sie diesen Irrsinn nicht mittragen. Bis Herr Woelki den schon lange überfälligen Rücktritt von seinem Kardinals- und Bischofsamt vollzieht, sollten wir ihm den Gehorsam und die Kooperation aufkündigen. Sie mögen subjektiv glauben, Herr Woelki, irgendeiner hehren Sache zu dienen. De facto machen sie aus dem Christentum eine Lachnummer.

Ceterum censeo Woelkium esse retractandum…* (Im übrigen meine ich, dass Woelki zurücktreten muss.)

Kardinalfehler Woelki #3

Christentum bekennen

Pfingsten, das Fest, das Christinnen und Christen mit der Begründung von Kirche verbinden, liegt eine Woche zurück. Kirche, so wurde mir zu Beginn meines kleinen Theologie-Studiums vermittelt, konstituiert sich durch drei, bei manchen durch vier, Begriffe: Dies sind die Elemente Martyria (Bekenntnis), Liturgia (Austausch mit Gott im Gottesdienst), Diakonia (praktisches Umsetzen der Nächstenliebe) und – manche fügen noch hinzu – Koinonia (Gemeinschaft).

Liturgia und Diakonia funktionieren – wenn man das so nennen will – einigermaßen. Das Bekenntnis des Glaubens, bei dem die eigene, je individuelle und persönliche Entscheidung zum Glauben benötigt wird (Martyria), hat sich aber für viele Menschen in Deutschland erledigt. Sie verlassen in Scharen die Kirche, weil das Bekenntnis zu Christus durch den Apparat korrumpiert wird. Und es sind nicht diejenigen, die sich vor Jahren vielleicht an Heilig Abend in die Kirche aufgemacht haben und sonst nicht. Es sind die Hard Core-Katholikinnen und -Katholiken, die Kommunionsvorbereitung mitgestaltet haben, die im Pfarrgemeinderat saßen oder die regelmäßig die Kirche besuchten, die sich enttäuscht abwenden. Eine Zahl für das Erzbistum Köln: Nachdem die Corona-Zeiten die Zahlen zwischendurch aus technischen Gründen vermindert haben, haben im Jahr 2022 alleine im Amtsgerichtsbezirk Köln 20.331 katholische Christinnen und Christen die Kirche als rechtliche Körperschaft verlassen. Wer will es ihnen verdenken? Die Impertinenz, mit der Amtskirche auf diese Abstimmung mit den Füßen reagiert, zieht einfach weitere, die gerade weil ihnen ihr persönlicher Glauben wichtig ist, nach sich. Die können auf diese Sturheit ihnen gegenüber und für ihre Anliegen nur mit dem Gang zum Amtsgericht reagieren.

Welches Maß an Begriffsstutzigkeit und Realitätsverleugnung muss man aufbringen, Herr Woelki, um sehenden Auges gerade mal nichts zu tun angesichts der Selbstzerlegung der katholischen Kirche hier? Es ist evident, dass die gegebene Sozialform der Kirche nicht überlebensfähig ist. Für diesen Befund sind Sie nur ein Puzzlestein. Dass Sie aber, Herr Woelki, den Eindruck vermitteln, dass die katholische Kirche hier Ihr Privateigentum ist, ist schlichtweg ein Skandalon. Das Vertrauen, das Generationen von Gläubigen in die katholische Kirche aufgebaut haben und in sie investiert haben, ist so gut wie restlos aufgebraucht. Menschen, die ihren eigenen Glauben wertschätzen, werden vor die Alternative gestellt, ihren christlichen Glauben hochzuhalten oder einer Institution den Rücken zu stärken, die vielem von dem für wichtig Gehaltenen in ihrer alltäglichen Praxis (Beispiel: Inklusion statt Ausschluss von LGBQ+-Menschen) widerspricht.

Lassen Sie es jetzt endlich gut sein. Sogar Päpste sind von ihrem Amt zurückgetreten, wie ein Blick auf Papst Coelestin und Papst Benedikt zeigt. Auch der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick ist im November 2022 zurückgetreten. Keiner muss an einer Stelle ausharren, die der Kirche und vermutlich auch Ihnen selbst nicht gut tut. Machen Sie den Weg frei für einen Neuanfang im Bistum…

Ceterum censeo Woelkium esse retractandum…

Kardinalfehler Woelki #2

KHKT (Kölner Hochschule für Katholische Theologie)

Im September 2018 begann ich berufsbegleitend ein kleineres Theologiestudium, das sich „Theologische Zusatzqualifikation” nannte. Es startete an der Philosoph-Theologischen Hochschule in Sankt Augustin, die sich in den Händen der Steyler Missionare befand. Ich habe dort wie in Köln aufgeschlossene Dozentinnen und Dozenten gefunden, deren wissenschaftliche Qualifikation außer Frage stand. Diese Hochschule wurde zunächst dem Namen nach, später auch vom Ort her ab 2020 als Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) weitergeführt. Diese Hochschule befindet sich in den modernisierten Räumlichkeiten eines früheren erzbischöflichen Berufskollegs im Stadtteil Lindenthal.

Ausgerechnet Lindenthal, mag man denken. Wenn Kirche den „Stallgeruch” (Papst Franziskus) der Menschen annehmen sollte, müsste sie hier – metaphorisch gesprochen – Chanel N° 5 auftragen. Ein Unding für eine Kirche in der Nachfolge Jesu Christi! Auch soziologisch ist diese Entscheidung für Lindenthal anfechtbar: Hier verdienen 58 % der Menschen mehr als 3.600 € monatlich, weit mehr als sonstwo in der Mehrzahl der Stadtbezirke Kölns. Wie sollen Studentinnen und Studenten hier einen Blick für die Gegebenheiten und Nöte der Menschen erwerben? Statt „Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen!” (Mk 16,15) scheint für Herrn Woelki folgende Lesart vorzuherrschen „Geht in den Winkel und verkündet das Evangelium eurer Klientel”. Damit ist eine froh-machende, befreiende Botschaft um ihre wesentliche Eigenschaften beraubt.

Nicht nur der Ort ist fragwürdig: Ein existenzbedrohliches Problem für diese Hochschule ist ihre völlig ungeklärte finanzielle Basis: Woelki musste zur Finanzierung dieser Hochschule auf Sondervermögen zurückgreifen, das für diese Aufgaben gar nicht vorgesehen war. Dass Gremien wie der Haushaltsausschuss der Erzdiözese umgangen wurden, kann kaum verwundern. Jährlich werden aus dem Sondervermögen 3 Millionen € entnommen, vorgesehen waren in einer Anschubphase 1,2 Millionen Euro. Die Hoffnung auf Spender und Stiftungen, die hier hilfreich einspringen könnten, muss selbst ein Herr Woelki inzwischen aufgegeben haben. Dazu kommen diverse handwerkliche Fehler bei der Ausgestaltung von Arbeits- und Auflösungsverträgen, die das Budget der Hochschule weiter belasten. Nicht eingerechnet bei den Belastungen sind noch nicht einmal Rückstellungen für Pensionsberechtigungen.

Die fragwürdige institutionelle Aufhängung der KHKT neben einer etablierten und angesehenen theologischen Fakultät in Bonn* ist ein weiterer Punkt: Mit Recht legt der Staat, vertreten unter anderem durch die KMK fest, dass theologische Hochschulen sich der Interdiziplinarität einer größeren Hochschulumgebung stellen müssen. Das gilt gleichermaßen für die Ausbildung muslimischer wie christlicher Religionslehrer und Theologinnen und Theologen. Genauso muss der Staat gewährleisten, dass Studierende an der KHKT in den verschiedenen Studiengängen dort auch in Zukunft  ihren Abschluss machen können. Wenn die ganze Konstruktion wackelt, wird die staatliche Zusage für die Studierenden in dieser Hinsicht schwierig. Dann muss ggf. einer lehrenden Einrichtung wie der KHKT die Zulassung entzogen werden.

Was verspricht sich nun ein Herr Woelki von so einer Einrichtung? Priesterausbildung nimmt im Kirchenbild von Herrn Woelki die zentrale Rolle ein. Dass in ganz Deutschland im Jahre 2021 nur 62 Priester geweiht wurden, ist noch nicht richtig zum Erzbischof durchgedrungen. Um so mehr müssen die wenigen Priesteramtskandidaten – das darf man als Idee unterstellen – auf das rückwärtsgewandte Theologie- und Kirchenverständnis dieses Mannes eingeschworen werden. Woelki hat deswegen die Priesterausbildung an der KHKT zum „zentralen Anliegen” der Pastoral aufgewertet.

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Kardinalfehler Woelki #1

Ein wichtiger Begriff ist für mich in den letzten Jahren Wertschätzung geworden. Er ist deutlich von Begriffen, die zu einem Bullshit Bingo einladen, abzusetzen. Der Begriff bedeutet für mich, zunächst mal jedem Menschen einen Wert zuzumessen und dementsprechend mit ihm oder ihr umzugehen. Wenn ich hier diesem Wert ausnahmsweise mal nicht entspreche, dann deswegen, weil Herr Woelki ihn in seiner öffentlichen Funktion nach meiner Wahrnehmung selbst kaum beherzigt und weil der von ihm verursachte Schaden so immens ist. Der Privatperson Woelki gilt, wie uns allen anderen auch, dass sie die besondere Form der Wertschätzung durch Gott genießt, unüberbietbar geliebt zu sein.
Bischofsamt

Die Gemeinden der Urkirche haben die Leitungsfunktionen, die sich in einer dynamisch vergrößernden Organisation als nötig erwiesen, in das Bild des „Hirten” gekleidet. Dies war ein Reflex auf die agrarische Grundlage ihrer Gesellschaft. Ein Hirt ist jemand, wie vor allem im Johannes-Evangelium ausbuchstabiert wird, der den Schafen (in diesem Bild also den Gläubigen) nachgeht und jede Sorge auf sie verwendet. (Joh 10,14-16). Auch bei Jeremia, Jesaja, Hesekiel, in den Psalmen bei Matthäus und Markus wird von Hirten im Sinne dieser Leitungs- und Fürsorgefunktion gesprochen. Man sollte also annehmen, wenn Bischöfe sich in der Tradition dieser Hirten sehen (vgl. den Bischofsstab), dass sie diesem Leitbild gerecht zu werden versuchen.

Wie anders ein Woelki: Es ist ihm nicht nur offenbar egal, dass Tausende im Kölner Bistum der Kirche den Rücken kehren. Ich gewinne mehr und mehr den Eindruck, dass er mit einem gewissen Vorsatz die katholische Kirche im Rheinland gegen die Wand fahren will.

Er hat zusätzlich bei dem Versuch (übrigens auch von einigen Bischöfen unterstützt) unter dem Titel „Synodaler Weg” neue Wege zu beschreiten, ein grobes Foulspiel begangen. Er hat zusammen mit 4 weiteren deutschen Bischöfen scheinheilig in Rom nachfragen lassen: „Muss ich am »Synodalen Ausschuss« teilnehmen? Darf ich daran teilnehmen?” (KStA 23.1.23) Der »Synodale Ausschuss« ist als Vorstufe zu einem Synodalen Rat gedacht. Woelki hat damit mit nicht überbietbarer Deutlichkeit klar gemacht, dass ihm jeder Ansatz, Kirchenleitung neu zu denken, zutiefst zuwider ist. Er hat sich dabei mit dieser Schein-Anfrage im Vatikan zum Spiel über Bande entschlossen. Von einem solchen „Hirten” braucht katholische Kirche also keine Impulse zu erwarten, wie ein Paradigmenwechsel zu einer Kirche erfolgen soll, in der nur vereinzelt Priester (hoffentlich sehr bald Diakoninnen), im wesentlichen aber Getaufte und Gefirmte das Gros der Weitergabe der Frohen Botschaft übernehmen müssen. 

Alleine aus diesem Grund sollten Sie jetzt endlich zurücktreten, Herr Kardinal. Wenn selbst Schützenbrüder, Karnevalsgesellschaften oder Pfarrgemeinden (jüngst im Westerwald) den Rückzug antreten, sobald Sie auf der Bildfläche erscheinen, ist nichts mehr zu reparieren.

Ceterum censeo Woelkium esse retractandum…*

*Im übrigen meine ich, dass Woelki zurücktreten muss.(lat.)

Woelki verstockt

Die Causa Woelki, von der alle wissen, nur deren Namensgeber nicht, kommt aus der Sommerpause. Erzbischof Woelki tut so, als sei mit der verspäteten Veröffentlichung des zweiten Gutachtens zum Thema „Sexualisierte Gewalt” alles Nötige gesagt. Dieses Gutachten hat aber nie zum Inhalt gehabt, dass Woelki lange Jahre im System Meisner durch die Funktion eines Privatsekretärs fest verankert war. Auch die Verbindung zu seinem Düsseldorfer Mentor O., den nur seine Demenz davor bewahrt hat, sich für seine Verbrechen verantworten zu müssen, ist im Gutachten nur gestreift. Woelki sieht sich wieder mit Oberwasser unterwegs, nachdem er im Ahrtal mit angefasst hat. Er schreibt sogar von „Hunderten Briefen”, die ihn zum Ausharren auf seinem Posten ermutigt hätten.

Dass gleichzeitig Tausende Katholikinnen und Katholiken die Nase gestrichen voll haben von einer dermaßen gleichgültigen Kirche und austreten, schert ihn absolut nicht. Wer vorwiegend im Echoraum seiner Entourage unterwegs ist, hört nur, was ihm gefällt. Diese Selbstbezogenheit mit feudalen Wurzeln hat der Jesuit Klaus Mertes kürzlich treffend charakterisiert: „Ich glaube, er tritt deswegen nicht zurück, weil er sein Scheitern nicht sieht. Er versteht sich als ein aufgeklärter Monarch, der alles gut und richtig machen will und auch getan hat, abgesehen von einigen verzeihlichen Fehlern.“

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Zuwarten und Aussitzen ist keine Lösung – Woelki und kein Ende

Die leidige Diskussion um die Verantwortung der Bistumsspitze im Skandal um sexualisierte Gewalt in der Kölner Diözese geht leider weiter. Letzte Stationen waren ein völlig unzulässiger Vergleich von NS-Propaganda und der kritischen Berichterstattung über die Kölner Kirche in den lokalen Medien durch Weihbischof Puff. (KStA 23./24.1.2021)

Davor konnte man beobachten, wie der unbotmäßige Pfarrer Koltermann, der den Rücktritt von Kardinal Woelki gefordert hatte, auf Linie gebracht werden sollte. Die Kirchenleitung muss dabei mehr und mehr eine Erfahrung machen: Solche Versuche gehen regelmäßig nach hinten los. Die Kirchengemeinde des Pfarrers aus Dormagen hat sich hinter ihn gestellt, die versuchte Maßregelung musste zurückgenommen werden. Viele weitere katholische Christinnen und Christen haben sich solidarisiert. Es gab dazu eine weiter fortgeführte Online-Petition (s.u.) Wer ein Kirchenbild à la 50er Jahre aufrecht erhalten möchte, liegt schief.

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Zivilisierende Wirkung von Kirchen

Wie kommt es zum Kreuz??

Gegenwärtig kommen zwei Dinge zusammen, die aus meiner Sicht deutlich nachteilig sind und sich gegenseitig wechselweise verstärken: Kirche in Deutschland, zumal die katholische Kirche, der ich angehöre, taumelt mehr als das sie zielgerichtet handelt im immer noch nicht entschieden angegangenen Missbrauchsskandal.

Mein persönliches Anschauungsfeld: Das hiesige Erzbistum Köln. Es hat – anders als das Bistum Aachen – einen Missbrauchsbericht von einer Münchner Anwaltskanzlei zwar erstellen lassen, aber bislang nicht veröffentlicht. Vorgegeben für die ausgebliebene Veröffentlichung wurden die Interessen von Missbrauchsopfern. Das stellt für mich einen erneuten Übergriff von Erzbischof Woelki und seinem Generalvikariat gegenüber den Betroffenen dar. Sie wurden instrumentalisiert, um Fehlverhalten z.B. von Bischof Stefan Heße (Hamburg, früher Personalverantwortlicher in Köln) zu verdecken. Alles in allem eine unwürdige, unwahrhaftige und von Glaubenszeugnis meilenweit entfernte Praxis. Das Ergebnis werden Scharen von Leuten sein, die weiter aus der katholischen Kirche austreten. Und – ehrlich gesagt – ich kann es ihnen kaum verdenken.

Das zweite negative Phänomen: Seit Covid-19 haben wir es – ein Vorgang mit zeitweiliger Überschneidung – mit Zeitgenossen zu tun, die sich selbst als Querdenker oder Systemopposition darstellen. Häufig herrscht bei ihnen ein hysterischer Ton vor: Trump als imaginierter Berlinbesucher zeitgleich zur Demonstration am 29.8.2020. Oder eine “Jana aus Kassel”, die allen Ernstes meinte, sich mit Sophie Scholl vergleichen zu müssen. Insgesamt geht es darum, dass einige Leute die zugegeben schmerzlichen temporären Einschnitte der persönlichen Freiheit zum Schutz gegen Covid-19-Viren im Namen von absolut gesetzten Persönlichkeitsrechten strikt ablehnen.

Wie anders könnte sich dieses Problemfeld darstellen, wenn mehr Menschen als die weniger zahlreichen sonntäglichen Kirchgänger regelmäßig mit der christlichen Botschaft in Berührung kämen? Die moralische Seite des Christentums steht zwar nicht im Vordergrund (schon gar nicht im Bereich der Sexualmoral!), sie könnte aber all’ denen – die vor lauter Ich, Ich schon fast in Schnappatmung verfallen – sagen: Pass mal auf, du bist wichtig, du bist sogar unüberbietbar geliebt, aber du solltest dich an diesem Schriftwort messen: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Lev 19,18, Mt 19,19)

Der oder die andere, zumal wenn sie oder er schwach ist, hat also die gleiche Daseinsberechtigung und das gleiche Recht auf Leben und Entfaltung wie ich selbst. Wer das einigermaßen regelmäßig im kirchlichen Rahmen oder per Bibellektüre oder vom Freund oder der Freundin gesagt bekommt, ist für das Sockenschussmilieu der Querdenker, QAnons und anderweitig Verpeilten unrettbar verloren. Katholische Kirche, mach’ endlich deine Missbrauchshausaufgaben, sorge für eine unbelastete Bistumsleitung und kehre dann zu deinem Kerngeschäft zurück: frohe Botschaft verkünden. Du könntest tatsächlich gebraucht werden! Und nicht nur Christinnen und Christen könnten davon profitieren, wenn ein zivilisierter Umgang miteinander auch im kirchlichen Feld verstärkt würde. Auch die Zivilgesellschaft insgesamt könnte erfreut sein, von einer als Teamplayer auftretenden Kirche unterstützt zu werden.

Wider eine selbstgenügsame Kirche

für S.K.

Das Fest Pfingsten – an dem Kirche nach allgemeinem Verständnis ihren Ausgangspunkt genommen hat – liegt gerade hinter uns. Dazu als Nachklapp ein paar Zeilen, wie eine veränderte Kirche das gegenwärtige Siechtum vielleicht überwinden kann.

Wie’s jedenfalls nicht gehen kann, hat Erzbischof Woelki vor kurzem in seinem Fastenhirtenbrief deutlich gemacht (dazu unten). Alleine die Vorstellung, dass ein Hirte die Richtlinienkompetenz hat, der das Kirchenvolk nur noch treu folgt, ist ein Anachronismus. (Amts-)Kirche, die sich mit dem Missbrauchsskandal für Jahrzehnte disqualifiziert hat, sollte das tun, was ihre Sache ist: Frohe Botschaft verkündigen (übrigens: Frohe, nicht Sauertöpfische Botschaft, Herr Erzbischof). Außerdem sollte sie im Dialog mit den Gläubigen und legitimiert durch einen umfassenden Beratungs- und Diskussionsprozess neue Formen von kirchlichem Leben entwickeln. Diese müssten dem Umstand Rechnung tragen, dass Priester keineswegs mehr alleine die Kristallalisationspunkte der Gemeinden sein müssen und brauchen, sondern dass Frauen und Männer in vielfältigen Formen kirchliches Leben mitgestalten: in Wortgottesdiensten, kooperativen Formen der Gemeindeleitung, Krankenhausseelsorge, Begräbnis- und Besuchsdiensten und vielem mehr.

Wenn es wahr ist – wie ein früherer Schulleiter von mir zu sagen pflegte „Nix is esu schlääch, dat et nit für irjendjet joot wör“ – könnte der Missbrauchsskandal Kirche auch positive Nebeneffekte haben und eine neue Demut lehren: Da sich selbst Mitarbeiter der Kirchen in allen Stufen der Hierarchie nicht zu entschuldigende Verstöße gegen die selbst gepredigte Sexualmoral erlaubt haben, könnte das die Einsicht vermitteln, auch mit anderer Leute tatsächlichen und vermeintlichen Verfehlungen gnädiger umzugehen. Das könnte bedeuten, auf Schwule und Lesben zuzugehen und sie nicht als „krank“ auszugrenzen. In zwei Gemeinden in Köln, die ich gut kenne, sind sie aus verantwortlichen Positionen nicht weg zu denken. Auch der Umgang mit Frauen, die abgetrieben haben –– Männer wie ich, die davon auch betroffen waren, standen immer ein bisschen außen vor ––, würden vermutlich ebenfalls wertschätzen, wenn auf sie ein Schritt zugegangen würde.

Alles in allem: lieber eine „verbeulte“ Kirche (Papst Franziskus), die bei den Menschen ist, als eine Kirche der Happy Few im 5%-Ghetto, die sich – wie weiland die K-Gruppen der 70er/80er Jahre – auf die Fahnen schreiben könnte: Klarheit vor Einheit.

Woelkis Hirtenbrief

Ein Gottesdienst mit vielen Menschen fühlt sich in der Regel festlicher an – soweit d’accord. Wenn Woelki jedoch in seinem Hirtenbrief Gemeinden nahe legt, als Norm nur noch einen sonntäglichen Gottesdienst abzuhalten, hat das deutlich zwei Nachteile. Gemeinden, die es als ihr Markenzeichen ansehen, bestimmte Angebote weiter aufrecht zu erhalten, stehen womöglich unter einem Anpassungsdruck. Da hat z.B. ein „emeritierter“ Priester eine besondere, ihm naheliegende Gottesdienstform und soll diese nun dem herausgehobenen einzigen Sonntagsgottesdienst zu Liebe aufgeben. Gleichzeitig werden Gläubige, die aus beruflichen Gründen oder weil sie noch Interessen jenseits von Kirche verfolgen, in ein Korsett eines Einheitsgottesdienstes gezwungen. Kirche, die sich gegen individualierte Neigungen und Interessen stellt und insgeheim einem Kirchenbild der 50er Jahre anhängt, wird den Gang ins 5-%-Ghetto rasant beschleunigen.