Sendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens genießen bei mir in der Regel eine 5-Minuten-Gnadenfrist, bis ich den Ausschalter bediene: Zu seicht, zu vorhersehbar, zu klischeehaft, zu Gehirn abtötend…
Es gibt aber erfreuliche Ausnahmen: Gestern ging Flunkyball bei der ARD über den Sender. Eine spannend und ästhetisch anspruchsvoll inszenierte Coming-of-Age-Geschichte. Franz begleitet seine Großmutter zu einer größeren Untersuchung ins Krankenhaus. Hier stößt er auf ein Mädchen, das sich Zoe (gr. Leben) nennt. Der schüchterne 17jährige verlässt, von dem so anderen Mädchen gefesselt, seine pubertäre Komfortzone. Er gewinnt völlig neue Einblicke ins Leben. Er erkundet so mit Zoe und der großen Schwester Milli München auf neue Art. München ist dabei keineswegs nur gemütlich, sondern erscheint quite rough. Die Handkamera schafft dabei mit Close-Ups und Kamerafahrten durch U-Bahnhöfe und Busshaltestellen filmisch die Nähe, die auch Betrachterin und Betrachter den Figuren des Films gegenüber entwickeln.
Der Ausgang der Liebesgeschichte wird hier nicht verraten. Die Gesichter der Hauptdarsteller, Laurids Schürmann und Lena Klenke, sollte man sich merken. Hoffentlich entgehen sie der Degeto-Einerlei-Verblödungsmaschine.
An diesem besonderen Wochenende, an dem sich der brutale Überfall auf die Ukraine zum ersten Mal jährt, habe ich am Freitag (24.2.23) in der Rochus-Kirche hier in Köln-Bickendorf ein bewegendes Konzert mit jungen Musikerinnen und Musikern aus der Ukraine gehört. Die Qualität der musikalischen Beiträge war absolut riesig und spricht dem russischen Hochmut über eine angeblich zweitrangige Ukraine auch auf diesem Gebiet hohn. Ich wünschte, alle Beteiligten könnten bald in eine sichere und unbedrohte Ukraine zurückkehren (falls sie dies wollen). Ich weiß aber auch, dass das zur Zeit ein etwas naiver Traum ist.
Trotzdem ist es wichtig im Kopf zu behalten, dass nicht alle Russinnen und Russen mit den gleichgeschalteten und einer beständigen Gehirnwäsche unterzogenen Bewohnern dieses Staates in einen Topf geworfen werden dürfen. Der Tagesspiegel hat 3 Neu-Berlinnerinen und -Berliner vorgestellt, die den Sprung nach Berlin ins kalte Wasser einem korrumpierenden Leben in Russland vorgezogen haben. Ein anderes, passendes youtube-Video aus dem Sommer füge ich hinzu.
Dieser Titel, einer Buchveröffentlichung des Verlages der SZ entliehen, trifft es: Die Nachkriegszeit bedeutete für Menschen, die Nazi-Reich und die Bombennächte überlebt hatten, die Rückkehr zu Alltag und all dem Glück, das auch dieser bereit hält.
Von diesem Glück handeln auch die Schwarz-Weiß-Fotos meines Schwiegervaters Peter Aachen. Selbst wenn nicht alle in technischer Hinsicht perfekt waren, spiegeln sie noch diese große Lebensfreude der Jahre nach 1945 berührend wieder. Dies gilt um so mehr, als Peter und Franziska in den Kriegsjahren zuvor nicht Täter, sondern Opfer waren. Hier einige Bilder:
Zu den wenigen Dingen, die man an der DDR positiv hervorheben kann, gehören die Enfants terribles, die sie hervorgebracht hat. Der rotlackierte Obrigkeitsstaat hat eben einen enorm großen Widerstand im Namen von Selbstbestimmung und Freiheit verursacht. Namen, die mir hier einfallen: Volker Braun, Wolf Biermann, Florian Havemann, Sascha Anderson (trotz Spitzel-Diensten), Nina Hagen und sicher auch Thomas Brasch.
Diesem ist ein fulminanter Film gewidmet, der seit letztem Donnerstag in den Kinos läuft. „Lieber Thomas”, in sieben Kapitel gegliedert, vermittelt zunächst wichtige Stationen auf dem Weg des späteren Schriftstellers und Regisseurs. Einem braven Biopic entkommt der Film aber dadurch, dass Braschs Geschichte auf’s Engste mit deutscher Zeitgeschichte verschränkt ist. (Andreas Kilb hat in seiner Besprechung des Films in der FAZ daraus den entgegen gesetzten Vorwurf abgeleitet, dass der Film weder der privaten noch der öffentlichen Ebene gerecht werde.) Der Film zeigt Thomas zunächst in einer Kadettenanstalt, die er allerdings bald wieder verlassen darf. Hierfür sorgt sein Vater Horst Brasch, als stellvertretender Kultusminister hoch in der DDR-Nomenklatura angesiedelt. Vater Horst und Sohn Thomas erscheinen trotz des karriereabträglichen Endes dieser Schullaufbahn in dieser Phase als miteinander verbunden. Der Bruch mit der eigenen Herkunftsfamilie, beide Eltern als Juden und Kommunisten im englischen Exil gewesen, vollzieht sich erst später drastisch. Der Vater denunziert den Sohn bei den Staatsorganen wegen dessen Teilnahme an Protesten gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Thomas wird verhaftet und landet im Gefängnis. Kurze Zeit später wird er zur „Bewährung in der Produktion” entlassen.
Parallel hierzu entwickelt sich Thomas als fast schon besessener Schriftsteller. Das wilde Schreibmaschinengeklapper ist im Film der basso continuo seiner frühen Jahre und transportiert seine ungezügelte Energie. Dann greift die Zeitgeschichte ein zweites Mal machtvoll ein: Im November 1976 wird Wolf Biermann nach seinem Konzert in Köln die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen. Die Proteste dagegen führen im Jahr 1976 schließlich dazu, dass Brasch im gleichen Jahr mit seiner Freundin Katharina Thalbach nach West-Deutschland ausreist. Dort hat er zwar seinen literarischen Durchbruch mit „Vor den Vätern sterben die Söhne” [sic!], ist aber – abgenabelt von der alten Umgebung – im Westen niemals heimisch geworden.
Der Film zollt mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern dem bekanntesten Film von Brasch, „Engel aus Eisen” (1980) Tribut und überzeugt vor allen Dingen durch seine Darsteller und Darstellerinnen. Albrecht Schluch gibt einen Brasch, der als Wortberserker und Umgetriebener sich niemals mit Vorgefundenem anfreundet. Dieser Darsteller ist eine Wucht! Aber auch die anderen Akteure im Film halten da mit. Bemerkenswert ist ebenfalls die Filmmusik, die einen breiten Bogen von Bach über Cool Jazz bis Punk aufspannt. Unbedingt sehenswert.
Wer weitere Hintergründe der Familie Brasch kennenlernen möchte, kann auf Filmschnipsel seiner Schwester Marion Brasch zurückgreifen. Sie hat im Buch („Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie”) und in diversen Interviews Zeugnis von dieser besonderen Familiengeschichte gegeben.
P.S.: Ein spannendes Interview mit dem Regisseur Andreas Kleinert und eine Filmbesprechung in der taz.
Vieles von dem, was einem in den öffentlichen Fernsehkanälen angeboten wird, taugt nur zum Abschalten. (Private stehen diesem „Qualitätsniveau“ in nichts nach.) Um so erfreulicher, wenn ein profilierter Regisseur wie Dominik Graf sich für einen Film gewinnen lässt wie zuletzt beim Polizeiruf 110 unter dem Titel „Bis Mitternacht“. Dieses Ergebnis lässt sich in jeder Hinsicht sehen.
Zum Hintergrund: Ein junger Mann wird von seinen Zwangsvorstellungen und sexuellen Begierden hin und her gerissen. Er ist schon einmal bei einem Mordfall in das Fadenkreuz der Ermittlungen der Kriminalpolizei geraten. Diese konnten jedoch nicht genügend Material zusammentragen, um ihm das Handwerk zu legen. Nach einem neuen Vergewaltigungs- und Mordversuch kann er festgesetzt werden. Auch dieses Mal steht es aber auf der Kippe, ob die Beweise für eine Untersuchungshaft ausreichen. Die beinharte Grenze für ein Verhör ist Mitternacht. Nach 24 Uhr muss der junge Mann freigelassen werden.
Wie die zunehmend verzweifelteren Versuche, den Mann zu einem Geständnis zu bewegen, ablaufen, wird überaus fesselnd erzählt. Dass die Handlung selten außerhalb des Verhörraums stattfindet, ist kein Manko, sondern äußerste Verdichtung. Zudem ist viel Gruppendynamik im Spiel: Frau gegen männerdomininiertes Umfeld, junge Einsteigerin gegen alten Hasen, Fragestrategien um einen sehr intelligenten Täter, die trotz des Drucks auch Menschenwürde und -rechte beachten müssen…
Der Film hat mich in seiner Zuspitzung auf die Schuld-Problematik an „Dead Man Walking“ erinnert. Große Kunst und überzeugende darstellerische Leistungen bei allen Rollen. Warum kommt Fernsehen so selten mit dieser Qualität??
Noch eine Weile hier zusehen. Unbedingt empfehlenswert!
Migration ist wie viele andere soziale Phänomene nach beiden Seiten offen: Sie eröffnet Chancen der Begegnung von Kulturen und Menschen. Sie produziert aber genauso Haltungen und Taten, die eine offene Gesellschaft nicht akzeptieren kann.
Ein Beispiel für Letzteres zeigt der Film “Die Ehre der Familie” (2020, engl. Titel “Honor”). Er macht klar, wie in kurdischen Einwandererkreisen in London männliche Gewalt über Frauen bei kontrollierenden Blicken nicht stehen bleibt, sondern physisch und psychisch manifest wird. Der Plot: Banaz Mahmod ist eigentlich die bravere von zwei kurdischen jungen Frauen in einer Einwandererfamilie. Sie hat sich insgesamt fünf Mal an verschiedene Polizeistellen gewendet unmittelbar nach Prügelattacken oder Erniedrigungen. Keine von denen hat sich zuständig gefühlt und der Not der jungen Frau Beachtung geschenkt, wenn polizeiliche Maßnahmen nicht im Verwaltungsdickicht verebbt sind. Erst Detective Chief Inspector Goode ahnt die bedrohliche Situation und setzt alles daran, die Vorgänge um Banaz aufzuklären.
90 Minuten zeigen, wie Goode auch aus dem Polizei- und Staatsanwaltsapparat immer wieder behindert wird, was sie aber nicht aufgeben lässt. Ebenso rennt diese bei der Familie der Frau gegen eine Wand. Neben Goode sind ein kurdischer Übersetzter und eine kurdische Gemeinwesenarbeiterin die Sympathieträger des Films. Die reale Ermittlerin, Caroline Goode, der die Filmgeschichte folgt, wurde mit der Queen’s Police Medal geehrt.
Noch bis 27.3.2021 in der arte mediathek, sehr zu empfehlen neben dem vielen Halbgaren, was die Öffentlich-Rechtlichen produzieren.
„Ferreira ist für uns verloren“, ist die feste Überzeugung des Superiors einer Jesuitengemeinschaft in Macao im 17. Jahrhundert, was den Widerspruch von Pater Sebastiao Rodrigues und von Bruder Francisco Garupe provoziert. Beide machen sich daher auf in das entfernte Japan, um ihren ehemaligen Lehrmeister zu finden und ein Stück ihrer eigenen Jesuitenidentität bewahrt zu sehen. Das ist die Ausgangssituation in Scorseses „Silence“, mit der ein bildmächtiger, fast dreistündiger Film den Kino-Besucher mit auf die Reise nimmt.
In Zeiten, in denen man fast täglich das Liebermann-Zitat bemühen möchte „Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte”, um Trumps letzten Ausfall zu kommentieren, kommt ein leiser und mit 138 Minuten langer Film mit gänzlich anderem Charakter aus den USA in die Kinos.
Lee hat den Heimatort Manchester by the sea verlassen, weil er die Idylle angesichts dessen, was seiner Familie widerfuhr (Zeitebene 1), nicht mehr ertragen kann. Er ist jetzt (Zeitebene 2) Hausmeister in Boston und sein Arbeitseinsatz über das hinaus, was er tun müsste, wird selten gewürdigt. Der Mann, der immer wieder Schnee schippend oder bei der Beseitigung von Kloverstopfungen oder Leckagen gezeigt wird, ist definitiv kein Held.
Aus diesem Alltag wird er aber völlig überraschend herauskatapultiert, als er nach dem plötzlichen Tod von Bruder Joe zum Vormund seines 16jährigen Neffen Patrick bestellt wird. In der entscheidenden Situation beim Rechtsanwalt muss der von Casey Affleck eher mit Körpersprache und Mimik dargestellte Lee eine Entscheidung treffen. Einige Rückblenden machen dabei klar, wie lange der Entschluss, die Vormundschaft und Fürsorge für den Neffen zu übernehmen, benötigt. Lee hat nämlich den Heimatort nach der traumatischen Zerstörung seiner eigenen Familie fluchtartig verlassen. Nun bringt ihn die Beerdigung des Bruders auch mit seiner früheren Frau Randi zusammen – ebenfalls großartig besetzt mit Michelle Williams, die in Blue Valentine an der Seite Ryan Goslings in einer vergleichbaren unheldischen Geschichte agierte.
Mit am beeindruckendsten dann eine Szene, in der Randi mit Lee vallein ergeblich versucht, ihren Anteil am Scheitern der früheren Familie zu bekennen. Dieser erträgt jedoch keinen Blickkontakt geschweige denn dieses für ihn doch entlastende Bekenntnis. Lee hat sich in seinem Schmerz derartig eingeigelt, dass er ihn als Person meinende Kommunikation nicht mehr erträgt. (Wer im öffentlichen Bereich zu den Themen Schuld und Vergebung arbeiten will, findet hier einen hervorragenden Einstieg.)
Etwas leichter ist dann für Lee die Rolle eines Ersatz-Vaters Patrick gegenüber. Dieser probiert aus, was Jungen in diesem Alter ausprobieren: Sex, Freundschaft, Vorstellungen über die eigene Zukunft, Musik…. Aufopferungsbereit folgt Lee trotz mancher Bedenken und einigen wenigen Verboten dem Auftrag des brüderlichen Auftrags, für Patrick da zu sein. Dass Lee dann noch eine zündende Idee entwickelt, das Familienboot — wirtschaftliche Grundlage der Familie, aber auch Symbol für männliche Verbundenheit unter Joe, Lee und Patrick – zu retten, ebnet den Weg zu einem gelasseneren Umgang von Onkel und Neffen.
Formal traut der Film den Bildern aus dem ländlichen Küstenstreifen, aber auch aus den Begegnungen und Konfrontationen viel zu. Diese sind es doch, die im Zusammenspiel mit der unterlegten Musik (Bach (?) u.a.), im Zentrum des Films stehen. Kenneth Lonergan als Regisseur wie auch mehrere der Schauspieler sind zu Recht für Oscars nominiert: Ein Film der leisen Töne, wohltuend anders als das, was das offizielle Amerika gerade abliefert.