Gottesdienst am Bildschirm – geht das?

jedes Teelicht auf dem Altar entspricht einer Fürbitte

Wenn ich mich selbst befrage, was mir – von den allgemeinen Kontakteinschränkungen mit Nachbarn, Freunden und Familienangehörigen abgesehen – am meisten in dieser Covid-19-Zeit fehlt, kann ich nur sagen: Gottesdienste und Sport (Schwimmen). Sport bietet Ersatzmöglichkeiten. Bei Gottesdiensten wird es schon schwieriger.

Bislang war für mich nur schwer denkbar, einen Gottesdienst am Bildschirm zu feiern: nicht der besondere Ort, der Weg zur Kirche, das Treffen mit Gleichgesinnten, die feierliche Atmosphäre, Orgel und bunte Glasfenster… Heute konnte ich mich aber davon überzeugen: es geht! Aus St. Dreikönigen, Bickendorf, vielleicht 2 Kilometer von hier entfernt, wurde ein von Stephan Matthey geleiteter Gottesdienst übertragen. Neben einigen Liedern bestand dieser aus einer Psalm-Lesung (im Wechsel), dem Tagesevangelium (Joh 11. 1) mit einer Evangelium-Teilen-Einheit, Fürbitten, dem Vater-Unser und einem Segen. Interaktiv gestaltet waren besonders der im Wechsel gelesene Psalm-Text, der Austausch zum Evangelium und die Fürbitten. Bei den letzten beiden Teilen wurden via Whatsapp oder per SMS Text- oder Sprachnachrichten während des Gottesdienstes empfangen und von Gemeindereferent Matthey vor Kamera und Mikrofon vorgetragen. Alles in allem ein begrüßenswerter Anfang, der neugierig auf mehr macht.

Über diesen Link lässt sich der Gottesdienst noch einmal ansehen, wobei ich eher dafür plädiere, den nächsten Gottesdienst am kommenden Sonntag, 5.4.20, 10.00 Uhr im gleichen youtube-Kanal zu verfolgen. Herzlichen Dank an Stephan Matthey und Thomas Roß (Musik) und Tim Kayser (Technik). Wenn ich mir was wünschen dürfte, weniger Neues Geistliches Lied-Lieder, sondern z.B. mal Huub Oosterhuis. Die Psalm- oder anderen Gebetstexte können vielleicht demnächst vorab per Mail oder im youtube-Kanal mit GL-Nummern oder auf andere geeignete Weise mitgeteilt werden, so dass man vom Buch aus mitlesen und -beten kann.

Die nächsten Termine:
– Palmsonntag, 5.04.2020, 10.00 Uhr
– Gründonnerstag, 9.4.2020, 19.30 Uhr
– Karfreitag, 10.4.2020, 10.00 Uhr
– Osternacht, 12.4.2020, 5.00 Uhr

P.S.: Ein Interview mit Prof. Julia Knop beleuchtet die grundsätzlichen Fragestellungen, die sich auch mit den gestreamten Gottesdiensten stellen (Hinweis von Prof. Höring).

Gebet um Gelassenheit – der Schlüsseleigenschaft in einer Krise

Zum ersten Mal stieß ich auf dieses Gebet an ungewöhnlicher Stelle: Sinéad O’Connor trägt es zu Beginn des Stücks feel so different vor. Es lautet in Englisch:

God, grant me the serenity to accept the things I cannot change,
courage to change the things I can,
and wisdom to know the difference.

und Deutsch:

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Mit dem Stichwort Gelassenheit lässt sich auch leicht ein Bogen zur augenblicklichen Situation schlagen. Wenn wir in diesen Covid19-Zeiten etwas brauchen, ist es Gelassenheit. Diese Eigenschaft – religiös ausgerichtete Menschen haben den Vorteil, sie mit ihrer persönlichen Vorstellung von Gott zu verknüpfen – bewahrt vor Panik, Setzen auf Latrinenparolen und Kurzschlussreaktionen. Menschen, die quasi immer Krise haben wie die Anonymen Alkoholiker, wissen, warum sie dieses Gebet zum Teil ihrer Arbeit machen.

Das Gebet wird dem amerikanischen Pastor und Theologen Karl Paul Reinhold Niebuhr zugeschrieben. Ähnliche Gebete gibt es auch in anderer Formulierung und von anderen religiösen Bekenntnissen.

Vielleicht verdient die zweite Zeile eine Hervorhebung: Es geht nicht darum, die Hände nur in den Schoß zu legen und abzuwarten, sondern auch zu handeln. Im Moment sieht das Handeln merkwürdig aus: Das vielleicht wichtigste Handeln ist bis auf weiteres, auf die Teilnahme am öffentlichen Leben so umfassend wie möglich zu verzichten. Hoffen wir, dass diese aktiv-passive Haltung bald dazu führt, dass sich die Ansteckungszahlen in Deutschland noch deutlicher verlangsamen als dies gegenwärtig der Fall ist.

Englische Dystopie nach einem Wendepunkt: The Wall

Ein epochales Eignis – the Change – hat das Land im Bewusstsein der Menschen in ein vorher und ein nachher geteilt. Die ganze britische Insel ist entlang der Küste von einer mehrere Meter hohen Mauer – der namengebenden Wall – nach außen abgeschirmt. Erinnerungen an ein unbesorgtes Leben am Strand gehören einer verblassenden Erinnerung an. Aber nur für die Alten, mit denen die jüngere Generation eine zunehmende Sprachlosigkeit pflegt.

Alle jungen Männer und Frauen sind zu einem 2jährigen Wachdienst unter sehr harten Bedingungen auf dieser Mauer verdammt. Es gilt, die Anderen (the Others) von Angriffen von See aus abzuhalten.

Das ist der Ausgangspunkt von John Lanchesters Roman The Wall, einer beklemmenden Dystopie aus dem Brexit-UK. Der 2019 veröffentlichte Roman liest sich aber heute noch viel beklemmender, da wir zu Beginn der Covid19-Pandemie eine ähnliche Zweiteilung befürchten können: ein Leben vor und ein Leben nach Covid19. Der Roman ist spannend zu lesen. Eine Paargeschichte (Liebesgeschichte wäre ein zu romantisches Wort) mildert die Düsternis. Covid19-Zeit ist Lesezeit!

Zelluläre Automaten – ein altes GMD-Tool ausgegraben

Bei der aktuellen Covid-19-Epidemie spielen Modellrechnungen eine große Rolle. Für solche epidemiologischen Berechnungen lassen sich auch zelluläre Automaten verwenden. (Ob dies heutiger Stand der Technik ist, kann ich nicht beurteilen). Ein bekanntes Beispiel für einen zellulären Automaten ist Conveys Game of life.

Beim Aufräumen auf dem Rechner fiel mir das Tool CAT (Cellular Automaton Tool) in die Hände, das vor Jahren in der GMD programmiert wurde. Das Tool CAT erlaubt es, mit einer einfachen Beschreibungssprache in Form sog. Recipes zelluläre Automaten zu formulieren. Bei diesem Programmierparadigma ist es möglich, in einer Matrix das Verhalten einer Zelle in Abhängigkeit der umgebenden Zellen zu verändern. Es ist mir nicht gelungen, unter gängigen Windows-Versionen das CAT-Tool zum Laufen zu bringen. Ich kann aber hier – für Interessenten – zumindest das Handbuch vorlegen.

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Happy birthday, Ralph Towner

Passiert mir immer wieder: Die Heroen (auch die musikalischen) meiner Jugend imaginiere ich offenbar als vom Alterungsprozess ausgenommen. Das ist natürlich großer Mumpitz. Trotzdem habe ich mit Überraschung notiert, dass eine dieser Leitfiguren gestern achtzig wurde. Also herzlichen Glückwunsch nachträglich, Ralph Towner, und noch viel Gesundheit und vielleicht noch das ein oder andere musikalische Kabinettstückchen von Ihnen.

Herzlichen Dank für die Solo-Konzerte, die Zusammenarbeit mit Oregon und vor allem das Stück Anthem, das kein musikalisch Interessierter nicht wenigstens einmal in seinem Leben gehört haben sollte. Die Aufnahme oben ist ein wenig versaubeutelt durch die unruhige Kameraführung, die CD-Einspielung ist deutlich vorzuziehen.

Einige weitere lohnende Einspielungen: Trios / Solos (ECM, 1973), Solstice (ECM, 1975), Anthem (ECM, 2001)

Dorotheenstädtischer Friedhof Berlin Chausseestraße


Wikipedia verzeichnet alle bedeutenden Gräber, die sich auf diesem Friedhof finden lassen. Zwei Irrtümer zu diesem Friedhof: Biermann besingt den Friedhof als Hugenottenfriedhof (W. Biermann, Für meine Genossen). Der befindet sich aber woanders. Es gibt einen zweiten Dorotheenstädtischen Friedhof in der Liesenstraße, der aber mit dem an der Chausseestraße nicht verwechselt werden sollte.

Wer ein Café in der Nähe sucht, wird direkt auf dem Friedhof hinter der Kapelle fündig: guter Kuchen, winzig und viele Bücher im Regal, die auf die Toten des Friedhofs Bezug nehmen.

Boeing 737 Max – ob das noch mal zum Fliegen kommt?

Wer einen Fehler macht, erweist sich normalerweise als Mensch. Bekanntlich irren die. Wer aber den ganzen Entwurf eines komplexen Industrieprodukts fehlerhaft gestaltet, in dessen Folge 346 Menschen sterben, braucht auf große Nachsicht nicht zu hoffen. Für den Flugzeughersteller Boeing geht es in diesem Jahr nicht nur darum, irgendwie das Gesicht zu wahren. Er muss auch die große Anzahl an bereits produzierten Boeing 737 Max-Fliegern an die Kunden ausliefern. Zudem muss er überhaupt wieder den Nachweis erbringen, ein zurechnungsfähiger und verlässlicher Produzent zu sein. Jüngste Panne, die allerdings auch dem zuletzt kongenial schlampigen Verein FAA (Federal Aviation Administration) zu schaffen machte: Boeing hat die interne Verkabelung in seinen Flugzeugen besagter Bauart so gewählt, dass Kurzschlüsse aus dieser Anbringung nicht völlig ausgeschlossen sind. Im ersten Begutachtungsprozess war dieser Umstand nicht weiter aufgefallen. Nachdem die FAA schon einmal als williger Handlanger von Boeing großen Kredit verspielt hat, wird sie in diesem Fall lieber 5mal hingucken, bevor sie noch einmal bei der Ausübung ihrer ureigensten Aufgaben scheitert. Das kann aber dauern. Kein Boeing-Kunde hat Hoffnung, dass vor Mitte des Jahres 2020 mit der Auslieferung von abgenommenen Flugzeugen gerechnet werden kann. Auch die Anforderungen an die Ausbildung der Piloten für den neuen Flugzeugtyp sind angehoben worden. Was ebenso die Indienstnahme des Flugzeugs verlängert.

Ein weiterer Qualitätsmangel in den bislang produzierten Flugzeugen kann Müll sein, der in einigen in den Flügeln plazierten Tanks gefunden wurde. Dies berichtete die Seattle Times. Fast 800 Maschinen auf diesen möglichen Missstand zu kontrollieren, dürfte weitere Zeit in Anspruch nehmen.

Erst letztens waren interne Meldungen aus den Boeing-Abteilungen öffentlich geworden, in denen Boeing-Mitarbeiter den Entwurf des neuen Flugzeugs mit wenig schmeichelhaften Worten umschrieben: “This airplane is designed by clowns who in turn are supervised by monkeys.” [Dieses Flugzeug ist von Clowns entworfen worden, die im Gegenzug von Affen beaufsichtigt wurden.]

Quellen: https://www.theguardian.com/business/2020/jan/09/boeing-737-max-internal-messages, https://www.seattletimes.com/business/boeing-aerospace/faa-faces-dilemma-over-737-max-wiring-flaw-that-boeing-missed/, https://www.seattletimes.com/business/boeing-aerospace/boeing-finds-debris-in-wing-fuel-tanks-of-parked-737-maxs-orders-all-to-be-inspected/

„Ein verborgenes Leben“ – Epos um katholischen Kriegsdienstverweigerer

Ich muss gestehen, August Diehl gehörte bislang nicht zu meinen Lieblingsschauspielern: irgendwie zu glatt sein ebenmäßiges Gesicht, die Rollen, die er spielte, blieben auch nicht im Gedächtnis pappen. Dass wird mir mit dem jüngsten Film, in dem er die Hauptrolle spielt, nicht passieren. Der von Terrence Malick – bekannt geworden durch Tree of life – gedrehte Film lässt ihn besonders in den zahlreichen Nahaufnahmen als einen bewegenden Charakterdarsteller erscheinen.

Worum geht es in diesem Film? Die katholische Kirche hat zwar wahrlich im 3. Reich keine Musterrolle abgegeben. Ihre Staatsferne hat aber – anders als bei den evangelischen Kirchen Deutschlands – unter dem Strich für eine größere Distanz zum Nazi-Reich gesorgt. Einige mutige Männer (Nikolaus Groß, Karl Leisner, Bernhard Lichtenberg, Rupert Mayer SJ, Maximilian Kolbe und Alfred Delp SJ) und Frauen (Edith Stein und Sophie Scholl) und eben der im Zentrum des Films stehende Franz Jägerstätter haben als Glaubenszeugen gegen den Nazi-Staat opponiert und dies mit dem Leben bezahlt. Was erzählt der Film über Franz Jägerstätter?

Schon die ersten Bilder entführen in eine idyllische Berglandschaft, in der die Grazer Alpen eine mal beeindruckende, mal drohende Kulisse schaffen. Franz liegt sorglos mit seiner Frau Fani auf einer Bergwiese und erfreut sich des Lebens. (Fani-Darstellerin Valerie Pachner steht übrigens kaum gegen August Diehl zurück.) Eine Rückblende zeigt, wie Franz mit einem Motorrad ins Dorf gelangt und bald bei einem Fest die junge Frau für sich gewinnen kann. In langen Passagen – der Film bringt es auf 174 Minuten – wird dann das weitere Leben entfaltet: Das eher beschwerliche Leben auf dem Bauernhof, die trotzdem unbeschwert heranwachsenden Töchter, die die Familie erweitern, eine Zeit beim Militär, in der Franz noch willig mit dem Bajonett Strohpuppen aufspießt. Erst beim Schwur auf dem Kasernenhof auf Adolf Hitler verweigert sich Jägerstätter, was aber zunächst ohne Folgen bleibt.

Als Hitlers Krieg beginnt, wird die Auseinandersetzung auch im fernen Dorf schärfer. Franz kann in das allgemein geäußerte Freund-Feind-Denken nicht einstimmen und wird in einer kriegsbejahenden Männerwelt zunehmend zum Außenseiter. Auch Prügel bleiben ihm nicht erspart. Weiter passiert aber zunächst einmal – nichts. Finanzielle Vergünstigungen, die Franz erhalten könnte, nimmt er aus Vorbehalten gegen den Nazi-Staat nicht an. Die Ablehnung der Familie im Dorf bekommen inzwischen auch die Frauen – die Schwester Fanis kommt hinzu – und Kinder zu spüren. Rückhalt dort erfährt der isolierte Franz beim Pfarrer (von Tobias Moretti gespielt), weniger beim Bischof, der klare Aussagen vermeidet. Den entschiedensten Beistand erfährt Franz aber in seiner Isolation durch seine Frau Fani: durch einen liebenden Blick oder eine zärtliche Geste.

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