Rollenmodell für Türkischstämmige in Deutschland

Köln hat eine türkische Community, die 10 bis 15 % der Wohnbevölkerung erreichen dürfte. Als Lehrer in Köln-Nippes machte sich das für mich oft so bemerkbar, dass zahlreiche Eltern, häufiger noch die Mütter, so gut wie kein Deutsch sprachen oder verstanden. Wie häufig saßen dann die Eltern beim Elternsprechtag vor mir und bekamen kaum mit, was ich zu ihren Kindern vermitteln wollte. Deutsch sprechen zu können war für sie – so empfanden sie – auch gar nicht nötig: Eingekauft, zum Friseur oder in ein Teehaus gegangen wurde im türkischsprachigen Umfeld. Waren dann noch die Ehefrauen aus der Türkei eingeflogen worden, hatten diese noch nicht einmal im Kindergarten oder in der Schule mit der deutschen Sprache und mit Deutschen Kontakt aufgenommen.

Um so mehr freut es mich jetzt, dass die Firma Biontech massgeblich von zwei türkischstämmigen Deutschen gegründet und zum Erfolg geführt wurde. U?ur ?ahin stammt sogar aus Köln und hat im Nippes benachbarten Erich-Kästner-Gymnasium als Jahrgangsbester Abitur gemacht. Seine Frau Özlem Türeci stammt aus Istanbul und ist in der Nähe von Cloppenburg aufgewachsen. Beiden kommt entscheidender Anteil daran zu, den bislang aussichtsreichsten Impfstoff gegen Covid-19 entwickelt zu haben. Dieser weist nach den bisherigen Studien eine sagenhafte Erfolgsquote von 90 % auf. (Eine nicht ganz unwichtige Einschränkung für den Erfolg ihres Vakzins ist allerdings, dass es bei – 70° Celsius gehalten werden muss.)

Vielleicht ist das ja der einen Schülerin oder dem anderen türkischstämmigen Schüler Ansporn, es den beiden nachzutun. Alle würden davon profitieren. Ach ja: Und schade, dass ich nur 8 Biontech-Aktien besitze.

Nachtrag 17.12.: Eine Präsentation mit Frau Merkel, Frau Karlicek, Herrn Spahn, Herrn ?ahin (spricht man das nicht Schahin aus?) und Frau Türeci – Bewundernswert, wenn Leute, die dermaßen exzellent gearbeitet haben, Bodenhaftung behalten, die Leistungen ihrer Mitarbeiter*innen betonen und bescheiden auftreten. Noch einmal großer Glückwunsch!

Nachtrag 18.2.21: Meine Begeisterung für die Firma Biontech hat etwas gelitten, nachdem die SZ von der eigenwilligen Preisgestaltung der Firma für je eine Impfdosis ihres Covid-19-Vakzins berichtet. Man wollte offenbar zunächst mit 54 € hinlangen, hat sich aber dann später auf einen Preis um die 15 € eingelassen. Wenn man berücksichtigt, dass die Firma mit Geldern der öffentlichen Hand gefördert wurde, ist dieses Vorgehen ziemlich ernüchternd. Möglicherweise hat es auch dazu geführt, dass die Verfügbarkeit von Impfstoff sich weiter hinausgezögert hat.

calliope und micro:bit mit neuer Ausstattung

Lange Zeit war die Vorläuferversion 1.3 von calliope nicht lieferbar. Jetzt gibt es calliope mit einem rudimentären Dateisystem. Das erlaubt, 25 Programme auf dieser Platine für die Programmiereinführung an Schulen parallel vorzuhalten. Den Hauptvorteil sehen die Macher der Platine darin, diese im Fachunterricht nun ohne vorherige Nutzung der oft genug beschränkten schulischen Computerarbeitsplätze zu nutzen. Der Preis ist ein wenig auf ~39 € angestiegen.

Ein großer Vorteil der calliope-Platine gegenüber der kostenlos an englischen Schulen abgegeben micro:bit-Platine bleibt aber bestehen: Der sternförmige Aufbau der Platine produziert weniger Kurzschlüsse und zerstörte Platinen als die dafür anfällige micro:bit-Platine.

Zusätzlich zu den vorhandenen Programmierumgebungen bei calliope (Open Roberta, Makecode) kommen neuerdings SEGGER Embedded Studio, abbozza! Calliope und TigerJython 4 Kids hinzu. Schon länger existiert die Möglichkeit, auch mit Swift zu programmieren.

Auch die micro:bit-Platine legt eine neue Hardware-Version vor: Das Gegenstück zur calliope-Platine verfügt nun über ein Mikrofon, einen Lautsprecher und einen Berührungssensor auf. Außerdem wurde die Rechenleistung verstärkt. Einen Berührungssensor hat calliope onboard nicht.

Noch mehr den spielerischen Charakter betont ein Spielzeug, das wie die calliope- und micro:bit-Platinen mit Scratch- oder Scratch-ähnlichen Programmierumgebungen gesteuert werden kann. Hier beginnen die Preise bei 84 €.

Grundschulfreunde der Mutter (Berlin 1931) – #1

Wolf Biermann hat einmal solche Konstellationen als besonders spannend und lehrreich beschrieben, in denen „Geschichtsbuch” und „Fotoalbum” zusammenträfen. Ein bisschen fühlte ich mich an diesen Satz erinnert, als ich ein Fotoalbum meiner Mutter vornahm. Ich hatte es mal für Kinder und Geschwister digitalisiert. Das Album enthielt für mich geradezu rührende Bilder aus der Grundschulzeit meiner Mutter 1931 in Berlin. Das Foto unten trug die Unterschrift „Mit Martha und Seppl Hirschberg Juli 1931”.

Es lag nicht fern, Befürchtungen zu hegen, was Menschen mit solchen Namen während der Nazi-Zeit geschehen sein könnte. Eine Recherche bei MyHeritage hat mich erst einmal beruhigt: Martha Esther Hirschberg ist 1979 und Walter Joseph Hirschberg 1998 verstorben. Sie haben also die Shoah überlebt. Walter Joseph Hirschberg ist offenbar nach San Diego ausgewandert. Vielleicht gelingt es mir noch, die Fotos Angehörigen der beiden zusammen zu lassen.

Weitere Informationen sind sehr willkommen.

 

Siehe auch -- see also 
English -- Seppel (Joseph) Walter & Martha Esther Hirschberg
Deutsch -- Seppel (Joseph) Walter & Martha Esther Hirschberg

English -- Whereabouts of Lilli Cassel
Deutsch -- Hintergründe zu Lilli Cassel

English -- Class mates on an excursion / List of all class mates
Deutsch -- Klassenfoto vom Ausflug / Liste aus Fotoalbum

 

Wecker – du heimlicher Diktator…

Wecker
Wecker

Eine meiner Phantasien für den Übergang in den Ruhestand: Ich nehme einen altertümlichen Wecker mit Aufdrehschrauben und vielen Zahnrädern innendrin, lege ihn auf einen Amboss und zerschmettere ihn mit einem kraftvollen Schlag mit einem möglichst großen Hammer in möglichst viele Stücke… Okay, Realität an: Wahrscheinlich wird’s dann höchstens für einen ordentlichen Fäustel reichen und wo finde ich dann noch einen solchen herkömmlichen Wecker??

Musste heute jedenfalls einen neuen Wecker beschaffen, nachdem das solide Aldi-Teil seinen Geist auf sonderbare Weise aufgegeben hatte. Der über einen Chip und Funksignal gesteuerte Wecker zeigte, nachdem ich ihn unbeabsichtigt vom Nachttisch gewischt hatte, die Zeit konstant, aber sonst sehr exakt, 2 Stunden zu früh an.

Dem Ingenieur (zumindest Vater war einer) ist nichts zu schwör: Neues Ziffernblatt auf die durchsichtige Plastikscheibe gemalt und die Weckzeit entsprechend angepasst – schien eine brauchbare Idee zu sein. Irgendwo gab’s aber ein Problem, das ich offenbar nicht bedacht hatte: Am letzten Schultag war ich jedenfalls erst um 8.15 h wach statt der vermeintlichen 6.15 h. Peinlich…, weiß jetzt aber, wie es sich für manche meiner dauerverspäteten Schüler anfühlt, kurz vor 9 h ins Schulgebäude zu eilen.

Beim gerade beschafften Wecker werde ich mir aber dann noch einmal überlegen, ob ich wirklich draufhaue: Schönheit besiegt primitive Triebabfuhr (…und wo sind da die Rädchen?) Könnte man glatt als Devise für das neue Jahr ausgeben, das gerade mal zwei Tage alt ist…

Willkommen und Anpassung — kein Goethe-Gedicht

Ich unterrichte an einer Hauptschule im Kölner Norden. In meiner siebten Klasse haben von 24 Schülern fünf einen deutschen Familiennamen. Das ist in den meisten Kölner Hauptschulen auch nicht anders und stellt zunächst überhaupt kein Problem dar.

Es gibt allerdings ein gewisses Problem damit, dass unter den Schülern mit Migrationshintergrund eine Gruppe zahlenmäßig dominiert: 12 Schülerinnen und Schüler haben einen türkischen Familienhintergrund und manche leiten aus diesem Umstand Forderungen ab, die ihrer Integration  in die deutsche Gesellschaft nach meinem Verständnis im Wege stehen.

Schreibweise der Namen

Türkische Vor- und Familiennamen enthalten, wenn man im Sinne der türkischen Rechtschreibung richtig schreiben will, einige Zeichen, die im Deutschen nicht nur unbekannt sind, sondern die auch am Computer nur mit Hilfsprogrammen erzeugt werden können. Solche Namen sind beispielsweise Tu?ba oder Asl?. Das „g” mit Tilde sorgt dafür, dass das  „g” in der Aussprache unberücksichtigt bleibt, das „?“ bei Asl? bewirkt am Ende einen Schwa-Laut vergleichbar dem letzten Laut des englischen „formula”.

Eine meiner Schülerinnen besteht darauf, dass ihr Name in diesem Sinne in türkischer Schreibweise z.B. bei einer Auflistung an der Tafel „richtig” geschrieben wird. Ich antworte darauf in zweierlei Weise: Zunächst sage ich der Schülerin, dass ich gut verstehen kannn, dass ihr Name korrekt ausgesprochen wird. Das billige ich jedem Schüler zu und ich denke, dass ich über die Jahre gelernt habe, alle fremdländischen Namen richtig auszusprechen.

Australien…

Im zweiten Argument, weshalb ich mich im Sinne der Integrationsinteressen der Schülerin weigere, ihrer Forderung nach der für sie richtigen Schreibweise nachzukommen, kommt mein Bruder ins Spiel. Er ist vor 11 Jahren nach Australien ausgewandert und heißt nun – Umlaute sind in Australien nicht vorgesehen – „Junger”. Soweit ich das aus der Ferne beurteilen kann, hat das keine Gefühle von mangelnder Akzeptanz bei ihm ausgelöst, das war der Anpassungsprozess, den er für die Aufnahme in die australische Gesellschaft leisten musste. Punkt. (Dass ich mich selbst in englisch- oder französischsprachigen Kontexten meistens als George vorstelle, lasse ich für die Schülerin lieber weg: Sie würde es nicht verstehen…) 

Würde mein Bruder auf der Schreibweise mit „ü” bestehen, würde er nicht nur Kopfschütteln auslösen, sondern könnte alle Hoffnungen auf berufliches und gesellschaftliches Fortkommen in Australien in den Kamin schreiben. Dies versuche ich meiner Schülerin deutlich zu machen und scheitere damit regelmäßig. Vielleicht versuche ich es demnächst mal so: Wenn ich ins Kino will, um einen spannenden, schönen Film zu sehen, muss ich auch einen Eintrittspreis bezahlen, um an der Vorführung teilnehmen zu können. Ich brauche mir aber deswegen nicht einzureden, dass die Kino-Besitzerin mich wegen des abverlangten Eintritts nicht mag…

Vielleicht können wir auch irgendwann auf eine sprachlich vollzogene Integration zurückblicken. Immerhin ist in Köln aus Miloviç irgendwann Millowitsch und damit der Kölner Vorzeigevolksschauspieler geworden…

 

Avanti dilettanti!

Ich bin ein Teil einer aussterbenden Spezies, Lehrer an einer Hauptschule. Diese Schulform ist durchaus besser geeignet, bestimmte Schüler aufzunehmen, die in der Schule auch ein Stück Familienersatz benötigen, als die favorisierte Schulform Gesamtschule. Sie ist stadtteilnäher, dadurch mehr in lokale Strukturen von Elternhäusern, Betrieben, Kirchen- und Moscheegemeinden eingebunden.

Weshalb die Grünen, die sich sonst Dezentralisierung auf die Fahnen schreiben, Gesamtschulen von bis zu 2.000 Schülern bevorzugen, ist mir schleierhaft.

Menschen, die an dieser Schulform als Lehrer arbeiten, gibt sie Gelegenheit, im fachfremden Unterricht ihre sonstigen Fähigkeiten im Bereich Musik, Gestaltung oder beispielsweise Informatik für Schüler nutzbringend anzubieten. Da Hauptschüler vielfach dann erfolgreich lernen, wenn eine persönliche Beziehung zum Lehrer besteht, sind Lehrer Rollenvorbilder für das, was man als Schüler vielleicht noch alles machen könnte. In der Eigenwahrnehmung können die Lehrer sich als Dilettanten im Goethe’schen Sinne fühlen, Liebhaber und damit Vermittler von etwas.