Mützenich – he did it again

Ich hätte mir gewünscht, dass Herr Mützenich etwas mehr Demut in sicherheitspolitischen Dingen an den Tag gelegt hätte. Er hatte doch schon bei der Frage, ob oder wie die Bundeswehr mit Drohnen bewaffnet werden sollte, so kollossal falsch gelegen.

Jetzt ist er gemeinsam mit dem Ralf Stegner und einer Reihe B-Promies mit einem Manifest hervorgetreten, das zwar den Frieden in Europa beschwört, ihm aber wenig dienlich ist. Was enthält das Manifest?

„Der Zwang zu immer mehr Rüstung und zur Vorbereitung auf einen angeblich drohenden Krieg wird beschworen, statt notwendige Verteidigungsfähigkeit mit einer Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik zu verknüpfen, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit zu erreichen

Seit den 1960er Jahren wurde die Welt mehr als einmal an den nuklearen Abgrund geführt. Der „Kalte Krieg“ war geprägt von gegenseitigem Misstrauen und militärischer Konfrontation der Führungsmächte in Ost und West. Der Präsident der USA John F. Kennedy, SPD-Friedenskreise Willy Brandt und andere führende Politiker der damaligen Zeit haben die richtigen Konsequenzen aus der in der Kuba-Krise offensichtlich gewordenen gefährlichen Perspektivlosigkeit dieser Rüstungsspirale gezogen. An die Stelle von Konfrontation und Hochrüstung traten Gespräche und Verhandlungen über Sicherheit durch Kooperation, Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung.

Heute leben wir leider in einer anderen Welt. Die auf den Prinzipien der KSZE Schlussakte basierende europäische Sicherheitsordnung wurde schon in den letzten Jahrzehnten vor dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine immer mehr untergraben - auch durch den „Westen“ - so etwa durch den Angriff der Nato auf Serbien 1999, (…) oder auch durch eine völlig unzureichende Umsetzung der Minsker Abkommen nach 2014.”

Beginnen wir mit dem Verweis auf den Angriff der Nato auf Serbien 1999: Ja, dieser Angriff hatte kein UN-Mandat. Ein solches wäre aber auch mit Blick auf ein zu erwartendes Veto von Russland und China nicht zu erhalten gewesen. Dennoch erhält dieser Bombenangriff dadurch eine Legitimation, dass im Vorfeld dieses Bombenangriffs Serbien im Juli 1995 – ein trauriges Jubiläum! – ein Massaker an 8.000 muslimischen Jungen und Männern in Srebenica verübt hat. Ähnliche genozidale Absichten der serbisch dominierten Streitkräfte gegenüber kossovarischen Menschen waren weiterhin nicht auszuschließen. Zudem stand im Kossovo das Prinzip der Volkssouveränität auf dem Spiel: Der serbisch dominierte Bundesstaat Jugoslawien hatte keine Anstalten unternommen, um eine kossovarische Identität und Teilstaatlichkeit innerhalb eines Bundesstaates Jugoslawien zu ermöglichen. Immerhin wurde aber als Ergebnis dieses Krieges das Kossovo unter UN-Aufsicht gestellt. Der Konflikt wurde damit zwar nicht ausgeräumt, aber seine potentiell gefährlichsten Weiterungen eingehegt.

Zweites Stichwort Minsk: Das von einer trilateralen Gruppe ausgehandelte und am 12. Februar 2015 unterzeichnete Abkommen sollte Russland, Weißrussland und der Ukraine einen Frieden bescheren. Mit Angriffen auf die ukrainischen Städte Debalzewe, Marjinka und Mariupol wenige Tage nach Unterzeichnung des Abkommens und Scharmützeln der sog. Volksrepubliken Donezk und Luhansk war aber klar, dass Russland keine dem Frieden dienende Umsetzung dieses Abkommens im Sinn hatte. Minsk II war dazu nur ein Wiedergänger des bereits vorher gescheiterten Friedensabkommen Minsk I. Eine „unzureichende Umsetzung” (s.o.) können Herr Mützenich und Herr Stegner beklagen. Sie sollten dann aber auch Ross und Reiter nennen, wer für den Bruch von Minsk II verantwortlich ist. So bleibt das Stichwort Minsk völlig nebulös.

Mützenich und Stegner setzen weiter oben unvermittelt auf „Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik …, um gemeinsame Sicherheit und gegenseitige Friedensfähigkeit” zu fördern. Wo hat Russland zu solchen ehrbaren Zielen beigetragen? Etwa, indem Angriffe auf die technische Infrastruktur (Seekabel) in der Ostsee erfolgten? Oder mit Angriffen jüngst auf Bundeswehr-Lastwagen? Oder mit den regelmäßig wiederholten Drohungen eines Herrn Medwedjew, Berlin zu zerstören? Oder waren es die völkerrechtswidrigen Hinrichtungen von ukrainischen Kriegsgefangenen? Oder das Verschleppen von ukrainischen Kindern nach Russland? Auch die Verhandlungen in Istanbul (einziges erfreuliches Nebenprodukt war der Gefangenenaustausch) haben keinen Hinweis gegeben, dass Russland auch nur im mindesten dialogbereit sein könnte.

Dass nach einem längeren Waffenstillstand in der Ukraine irgendwann auch mal mit Russland wieder Gespräche aufgenommen werden sollten, steht auf einem ganz anderen Blatt. So zu tun, als sei das im nächsten halben Jahr möglich und sinnvoll, ist unredlich und fällt den Ukrainern in den Rücken.

Übrigens: Privat braucht mich keiner vom Wert von Frieden zu überzeugen. Ich hatte in meiner Jugend mein Zimmer neben dem elterlichen Schlafzimmer. Von dort konnte ich immer mal wieder hören, wie meinen Vater offensichtlich kriegsbedingte Alpträume quälten und er Mama, Mama schrie.

Im persönlichen Gespräch habe ich Herrn Mützenich, anders als Unsympath Stegner, als zugewandt und sympathisch erlebt. Ich würde mir wünschen, dass seine Analyse der politischen Lage nicht den Verdacht aufkommen lässt, er sei ein eher schlichtes Gemüt. Wenn er sich zu einer Neubewertung vor allem der sicherheitspolitischen Lage Deutschlands durchringen könnte, wäre er am Ende auch für mich wieder wählbar.

PS 28.6.25: Herr Mützenich ist dem Parteitag der SPD ferngeblieben und ist nicht für sein Manifest eingetreten. Das ist ausgesprochen schwach.

Rolf Mützenich – der miltärpolitische Geisterfahrer der SPD

Wer einen Fehler macht, beweist sich als Mensch. Wer aber seine Fehler hartnäckig wiederholt, hat zumindest im politischen Bereich nichts verloren. Rolf Mützenich muss man leider der zweiten Kategorie zurechnen.

Als er sich in den 2020er Jahren zu einer möglichen Anschaffung von Drohnen für die Bundeswehr äußerte, musste man vermuten, es handele sich um die nicht überbietbare Gott-Sei-bei-uns-Angelegenheit: Obwohl die Eroberung von Berg Karabach durch Aserbaidschan vornehmlich durch den Einsatz von Drohnen gelingen konnte, wollte Mützenich diese neuartige Waffenart der Bundeswehr um jeden Preis vorenthalten. Die Realität, die man nicht loben musst, die aber besteht, hat die SPD gezwungen, an dieser Stelle ihre militärpolitische Unbeflecktheit aufzugeben.

Ein neuer Streit ist jetzt um die Stationierung von amerikanischen Marschflugkörpern in Deutschland entbrannt. Wieder argumentiert Mützenich so, dass man fast eine nicht überwundene naive jugendliche Gesamtsolidarität mit allem, was “links” heißt, unterstellen muss. Mützenich führt die kurze Vorwarnzeit von konventionell bestückten Marschflugkörpern ins Feld. Gleichzeitig blendet er aus, dass russische, atomar bewaffnete Raketen in Kaliningrad (Königsberg) jederzeit in Minutenfrist Warschau, Berlin und Paris in Schutt und Asche legen können. Auch die offensichtliche Aggressivität des russischen Militärs seit 2008 (Georgien) über 2014 (Besetzung der Krim und der Ostukraine) über den großangelegten Angriff 2022 auf die Ukraine hat bei Herrn Mützenich keine Lernprozesse befördert.

Gut, dass Annalena Baerbock (“Die traurige Wahrheit ist: Putins Russland ist die derzeit größte Sicherheitsgefahr für uns und unseren Frieden in Europa.”), Verteidigungsminister Pistorius (dieser spricht von einer “Fähigkeitslücke”) und andere dagegen halten.

Einer solchen SPD, die sich Mützenich immerhin in der Position des Fraktionsvorsitzenden leistet, kann man nur wünschen, dass sie bei den nächsten Wahlen und besonders der Bundestagswahl 2025 nicht über 10 % der Wählerstimmen hinaus kommt.

[Ergänzung 28.7.24]

Die SPD erscheint nach einem Bericht der FAZ vom 27.7.24 immer noch in Punkto Drohnen mit militärpolitischer Blindheit geschlagen zu sein. Die FAZ schreibt:
Die Bundeswehr operiert drohnentechnisch etwa auf dem Niveau von Armenien, also weitgehend wehrlos. Während der Kämpfe [gemeint ist der Krieg mit Aserbaidschan] verlor das Land innerhalb kurzer Zeit mehr als 190 Kampf- und Schützenpanzer sowie weitere gepanzerte Fahrzeuge und Dutzende Flugabwehrsysteme. (…) Während Pistorius und Generalinspekteur Carsten Breuer in jedem Interview von Dringlichkeiten und Kriegsgefahr reden, lässt sich das Ministerium viel Zeit damit, dem Bundestag Regelentwürfe für den Drohnenkampf vorzulegen.

Merke: Wenn du ein Thema besonders nachhaltig beerdigen möchtest, schicke das Thema betreffende Vorlagen in Kommissionen, die möglichst selten tagen und richte eine Task-Force ein. Sei sicher, dass unter Mützenich nichts Produktives und die deutsche Gesellschaft Schützendes dabei heraus kommt.

Ein Gedankenspiel: Die Ukraine hätte, bevor sie die erste Drohne zur Abwehr des russischen Angriffs gestartet hätte, Ausführungsbestimmungen im Sinne von Herrn Mützenich vom Parlament gebilligt und mit allem Pipapo versehen etabliert, es gäbe sie schlichtweg nicht mehr. Wahrscheinlich kein Grund, dass Herr Mützenich nur eine Minute unruhig schläft…

Quellen: https://www.tagesspiegel.de/politik/spd-freundet-sich-mit-kampfdrohnen-an-4285234.html
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/pistorius-usa-raketen-stationierung-deutschland-100.html
https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/die-heron-drohne-koennte-waffen-tragen-doch-sie-darf-nicht-19881959.html

Briefe an Herrn Mützenich

Brief #1 vom 25.2.24

Sehr geehrter Herr Mützenich,

Sie sind mein Abgeordneter im Deutschen Bundestag. Ich habe einige Fragen / Anregungen zu Ihrer Position und der der SPD zu dem seit 2 Jahren andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine:

• Welche Maßnahmen gedenken Sie und Ihre Partei dazu zu unternehmen, die zugesagte Artilleriemunition im Standardformat 155 mm in den zugesagten Mengen an die Ukraine zu leisten? Der Ukraine steht das Wasser — wie wir alle wissen — bis zum Hals. Weitere Eroberungen durch Russland werden den Widerstandswillen der Ukrainerinnen und Ukrainer mit Sicherheit nicht fördern.

• Welche Maßnahmen gedenken Sie und Ihre Partei dazu zu unternehmen, die Ausfuhr von kriegswichtigen Gütern an Russland über Drittstaaten zu unterbinden? Es dürfte nicht so schwierig sein, empfindliche Vertragsstrafen vorzusehen, wenn Empfänger in Drittstaaten Mikrochips oder andere Bauteile für den Flugzeug- und Fahrzeugbau an Russland verschieben. Wirtschaftliche Exportzahlen müssen hinter Loyalitätsverpflichtungen gegenüber der Ukraine zurückstehen.

• Welche Maßnahmen gedenken Sie und Ihre Partei dazu zu unternehmen, die Ausfuhr an russischem verbilligtem Rohöl oder Gas an Staaten wie Indien und andere Staaten zu beantworten und auf diese Weise die Ausfuhrerlöse Russlands zu vermindern? 

• Welche Maßnahmen gedenken Sie und Ihre Partei dazu zu unternehmen, die Ausfuhr „weit reichende(r) Waffensysteme“ (Drucksache 20/10375) mit der gebotenen Geschwindigkeit auf den Weg zu bringen? Wieso sperrt sich die SPD dagegen, auch Taurus-Systeme an die Ukraine zu liefern, die z.B. die Brücke von Kertsch als wichtige Landverbindung für russischen Nachschub zuverlässig zerstören könnte? Die Krim ist nach wie vor widerrechtlich besetzt und ukrainisches Staatsgebiet, keineswegs russisches.

• Welche Maßnahmen gedenken Sie und Ihre Partei dazu zu unternehmen, die Informationsmöglichkeiten der russischen Zivilgesellschaft zu fördern? An dieser Stelle wäre sicher besonders viel Phantasie gefragt, um über Nachrichtenportale wie Meduza.io, Novaya Gazeta Europe oder Russians Against the War und Sender wie Radio Free Europe/Radio Liberty, Förderung von VPN-Netzwerken etc. Russinnen und Russen in die Lage zu versetzen, vom tatsächlichen Geschehen in ihrem Land und in der Ukraine Kenntnis zu nehmen.

Ich würde mich freuen, wenn Sie angesichts der Dringlichkeit, den dieser menschenvernichtende Krieg darstellt, recht bald auf meine Fragen antworten würden. Der Ukraine nur gerade die Hilfe angedeihen zu lassen, die sie nicht sofort dem Vernichtungswillen Russlands unterwerfen würde, reicht erkennbar nicht. Ihre Partei ist dem Prinzip der Solidarität verpflichtet.

Mit freundlichen Grüßen

Georg Jünger

 

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