In Liebe, eure Hilde – Filmbesprechung

Was für ein Film! Der Ausgang steht schon fest, sobald der Kinosaal betreten ist: Man ahnt oder weiß, dass die meisten Mitglieder der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe alias „Rote Kapelle” hingerichtet wurden. In diesem Sinn schenkt einem schon die erste Szene des Films reinen Wein ein. Zwei Autos nähern sich langsam und bedrohlich den beiden Frauen in einer Kleingartenanlage. „Nehmen Sie etwas Warmes mit”, rät der Good Cop, als Hilde Koppi den Koffer für die Haftzeit packt. Sie wird schon bald einem deutlich unangenehmeren Vernehmer gegenübersitzen, der sie in die Mangel nimmt. Einige Fotos erhält sie vorgelegt, auf denen Hilde Mitglieder der Gruppe identifizieren soll. Soweit der Ausgangspunkt.

 

Dieser Haftzeit-Erzählstrang bildet aber nur die eine Hälfte der Filmerzählung von Andreas Dresen. Der zweite Strang schildert in Rückblenden, nicht zeitlich geordnet, die Verabredungen und Treffen der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe. Die sind nicht nur der politischen Arbeit gewidmet, sondern ähneln teilweise auch normalen Unternehmungen in der Berliner Sommerfrische: Badeausflüge, Kanufahrten, in Zelten verbrachte Nächte mit der Frage, wer von wem angezogen wird. Dresen hat ein gutes Gespür, was er der Zuschauerin / dem Zuschauer zumuten kann: Sobald der Gefängnis-Erzählstrang droht, unerträglich zu werden, wechselt der Film mittels Rückblende zur Vorgeschichte. Die hält gegen die Düsterkeit des Gefängnisses Bilder bereit, die Sorglosigkeit und Lebensfreude repräsentieren.

Zurück zum Plot: Hilde kann in dem für sie neuen Milieu mit Menschen mit groß- und kleinbürgerlichem Hintergrund mit ihren speziellen Kenntnissen punkten. Sie tippt schnell und weiß, wie Wachsmatrizen möglichst gut eingesetzt werden. Nachdem sie zunächst aus dem eindeutig politischen Tägigkeiten herausgehalten wird, ist bald klar, dass sie gebraucht wird und das sie auch beteiligt werden will.

Eine neue Zuspitzung erhält die Widerstandstätigkeit, als ein Funkgerät aus Russland an die Gruppe übergeben wird. Der Plan: Vor dem sich abzeichnenden Überfall auf die Sowjetunion sollen relevante Informationen per gefunkter Morsezeichen nach Moskau übermittelt werden. Hans Koppi und Hilde sind inzwischen ein Paar und machen sich einen Spaß daraus, die Morsesprache bei vielen Gelegenheiten, auch im Bett, zu üben.

Besonders bedrückend ist für Hilde später, dass sie unter den entwürdigenden Bedingungen eines Gefängnisses ihr Kind gebären muss. Kurz vor der Hinrichtung von Hans Koppi können die drei sich kurz als Vater–Mutter–Kind-Familie konstituieren. Vater Hans nimmt den neugeborenen Sohn Hans etwas ungelenk in seine Arme. Nach der Hinrichtung ist es dann die Sorge um diesen kleinen Hans, die Hilde Kraft gibt. Sie erfährt dabei Hilfe von ihren Mitgefangenen und sogar ein wenig von der Gefängniswärterin.

Andreas Dresen hat für diesen Film exzellente Schauspielerinnen und Schauspieler gewonnen, allen voran Liv Lisa Fries. Sie hat deutlich mehr zu bieten als in „Berlin Babylon”. Gerade in den Szenen, wo ihr bevorstehender Tod unabwendbar erscheint, kann sie die Existenzangst in kaum überbietbarer Form darstellen. Zukünftige Generationen von Schauspielern werden hieran Maß nehmen müssen. Auch ihr Konterpart Johannes Hegemann überzeugt als im Bereich Film neues und unverbrauchtes Gesicht. Daneben hat mich Alexander Scheer als Gefängnispfarrer Poelchau (übrigens auch eine historische Figur) überzeugt. Er ist ganz Ohr für Hildes Bedürfnisse und bekommt den Brief diktiert, aus dem der Filmtitel gewonnen ist. Verharmlosung von dem, was Hilde bevorsteht, ist ihm fremd. Auch Lisa Wagner kann überzeugen, wie sie in einer Nebenrolle als Gefängniswärterin sich für Hildes’ Leid nicht völlig gleichgültig zeigt.

Der Film lässt sich im übrigen Zeit, seinen Plot zu entwickeln. Rasche Kamerafahrten oder -schwenks sind nicht sein Ding. Die Umgebung der Geschichte wird mit Liebe zum Detail gewürdigt und gibt dem Film auch von dieser Seite her Glaubwürdigkeit.

Alles in allem ein Film, der zumindest deutsche Filmgeschichte machen dürfte. Seine Länge von 124 Minuten und sein Sujet dürften ihn allerdings kaum zum Blockbuster machen. Aber jede und jeder, der Liv Lisa Fries in diesem Film gesehen hat, wird diesen Film als bedeutsam für sich verbuchen.

Ein Treppenwitz der mit vielen Leben bezahlten Untergrundtätigkeit der Schulze-Boysen/Harnack-Gruppe: Ihre Funksprüche nach Moskau sollten ein Frühwarnsystem etablieren und militärisch verwertbare Informationen liefern. Bis auf einen Funkspruch im Sinne von „herzliche Grüße an alle Freunde” ist aber in Moskau nie etwas angekommen. Man könnte auch urteilen, dass hier viele Menschen für nichts und wieder nichts verheizt wurden. Das wäre dann allerdings ein Muster mit Wiedererkennungswert: Wer sieht, wie Menschen und Material im großen Fleischwolf des Angriffskriegs gegen die Ukraine geopfert werden, wird eine ähnliche Logik entdecken.

 

A closer look – Trump zum Auslachen…

Manchmal frage ich mich ja schon, wie es die Amerikaner zulassen, sich von einem stockdoofen und mäßig unterhaltsamen Menschen wie Trump seit über 12 Jahren wie ein Bär am Nasenring durch die Manege treiben zu lassen. Merken die denn nicht, was für ein unterirdisch schlechter Blender dieser Mann ist? Wäre meine Idee. Dagegen war ja Bunga-Bunga-Berlusconi ein Philosoph auf dem Regierungsthron!

Wenn bei dieser Neuinszenierung von des „Kaisers neue Kleider” irgendwas Sinnstiftendes oder Lustiges abfallen kann, kann es nur in der überdrehten Version des alltäglichen amerikanischen Wahnsinns liegen. Diese besorgt – wie kürzlich von mir entdeckt – Seth Meyers mit völlig Überdrehtem: Video-Schnipsel der jüngsten Zeit, Trump-und andere Parodien, komödiantische Einlagen aller Art. Das Live-Publikum hat viel Spaß und ist ein guter Widerpart, um Meyers zu Höchstleistungen anzutreiben.

Hier ahnt man auch, wo Imker-Freund Böhmermann seine Inspirationen her bezieht. Er kann aber Seth Meyers nicht entfernt das Wasser reichen. (Vielleicht hatte Harald Schmidt in seinen Glanzzeiten etwas von Meyers.)

Enjoy!

Wolfszeit – Nachkriegsgeschichte neu erzählt

Mein Vater, von mir eher düster und angestrengt erinnert, bekam strahlende Augen, wenn er davon erzählte, wie in den ersten Nachkriegsjahren im Westerwald neue Lebensfreude zelebriert wurde. Die entstand z.B rund um den in die Tasten des Klaviers hauenden Ferdi Brück (Exil-Kölner!). Wahrscheinlich wurde dazu auch ordentlich gepichelt. Mein Vater konnte zu dieser Zeit darauf zurückblicken, dass er, kurz bevor der Kessel in Stalingrad sich schloss, den rettenden Granatsplitter empfing und ausgeflogen wurde. Auch seine Freundin und seine spätere Frau mag er vor Augen gehabt haben, die ihn im Lazarett als Krankenschwester wieder „aufmöbelte”. Von solcher Art sind wohl viele Geschichten, die aus den Jahren 1945 bis 1949 erzählt werden können. Wie spannend und erhellend sie auf überindividueller Basis erzählt werden können, macht Harald Jähners Wolfszeit deutlich.

Harald Jähner liefert auf reicher Faktenbasis einen breiten Soundtrack, wie sich ein Querschnitt der Menschen in Deutschland in dieser Kernzeit des kollektiven Resets und Großexperiments neu einrichtete. Er wertet vornehmlich Literatur, aber auch Zeitungsberichte und einschlägige Monographien aus. Ein Subjekt, das eine immer noch primär national verstandene Geschichtsschreibung voraussetzt, existierte zu dieser Zeit gerade nicht. 75 Millionen Menschen auf dem Gebiet der vier Besatzungszonen unter Führungsaufsicht, aber im Alltag erst mal damit beschäftigt, sich selbst, ihre Beziehungen und das Überleben zu organisieren.

Die Ausgangslage war dramatisch, wie Jähner deutlich macht:

Im Sommer 1945 lebten in den vier Besatzungszonen ungefähr 75 Millionen Menschen. Von ihnen waren weit mehr als die Hälfte nicht dort, wo sie hingehörten oder hinwollten. Der Krieg hatte als gewaltige Mobilisierungs-, Vertreibungs- und Verschleppungsmaschine gewirkt. Wer überlebt hatte, den hatte sie irgendwo ausgespien, weit weg von dem, was einmal eine Zuhause war. (61)

Dass gerade in der absoluten Reduktion auf das Wesentliche und die blanke Notdurft (vergleiche Günter Eichs Inventur, das Jähner zitiert und unten zu finden ist) ein Schlüssel zu einem großen Empfinden von Freiheit und wiederentdeckter Lebenslust enthalten war, ist aus heutiger Sicht nur schwer nachvollziehbar. Jähner zitiert aus dem Jahr 1952 einen Text von Kurt Kusenberg mit dem bezeichnenden Titel „Nichts ist selbstverständlich. Lob der Elendszeit”, der sogar eine geheime Sehnsucht nach dieser Nullzeit erkennen lässt. Das Gröbste mit zwei Hungerwintern 1946 und 1947 mit vielen Toten lag nur wenige Monate zurück!

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rejoint – Theaterprojekt in der Grabeskirche. Reprise*

If my heart could do my thinking
and my head begin to feel
I would look upon the world anew
and know what’s truly real
                Van Morrisson

Zugegeben, allein die Gattung zu bestimmen, fällt schwer: Reden wir von einem Theaterstück, einem Mysterienspiel, einer Oper…? Die Kirchengemeinde in Bickendorf und Ossendorf (BiOs) war schon immer gut, spektakuläre kulturelle Veranstaltungen im kirchlichen Raum aus der Taufe zu heben. Besonders in Erinnerung ist mir noch eine Space Night mit Gustav Holst’ Planeten-Musik, dem Kubrick-Film 2001: Odyssee im Weltraum und einer geplanten Live-Schaltung zur ISS-Raumstation vor ungefähr 20 Jahren.

Auch bei Rejoint – The Mystic Journey war der Aufwand am 14./15.5.22 beträchtlich: zwei Tänzerinnen, Ratio und Mystik darstellend, eine Schauspielerin für die Rolle der Unschuld, ein Schauspieler als Philosoph, 7 Begleiterinnen und Begleiter hier aus Köln dazu ein großer Chor von der Musikhochschule Detmold, der Regisseur und die Tontechnik.

Wenn man von einem Plot sprechen möchte, geht der so: Aus der ursprünglichen Einheit von Mystik und Ratio, die auf der Bühne dem gemeinsamen Kokon entschlüpfen, entstehen beide Prinzipien als getrennte und sich schließlich bekämpfende Figuren. Der Gegensatz wird in einem dramatischen Kampf dargestellt. Auch in großer räumlicher Enge wird die körperliche Präsenz und das Vermögen von Elke Waibel und Sway E’fey offenbar. Die Mystik unterliegt schließlich und verlässt die Bühne. Die Ratio verkörpert ihren Herrschaftsanspruch, indem sie einen Thron besteigt. Den Fragen der Welt, die aus den Lautsprechern in immer rascherer Folge und immer bedrängender auf sie einprasseln, muss sich die Ratio aber geschlagen geben: Sie bricht zusammen. Das Schlusstableau sieht dann die wiedererstandene Mystik in inniger Umarmung mit der unterlegenen Ratio: Beide sind erneut vereint auf ihrer Reise, der Titel kommt zu seinem Recht: Rejoint. Die Sehnsucht nach Ausgleich und Versöhnung von Ratio, Emotion und Mystik ist – nicht nur bei Hildegard von Bingen – ein altes und mit Blick auf den Eingangstext von van Morrisson ein immer noch aktuelles Thema.

Bewertung: Man könnte mit einigem Recht argumentieren, hat diese katholische Kirche nichts besseres zu tun als eine ganze Menge Geld für ZWEI Aufführungen eines besonderen Stückes aufzubringen? Darauf würde ich mit einem klaren Jein antworten. Ja: In der Tat brennt es in der katholischen Kirche zur Zeit an allen Ecken und Enden, weil immer noch zu viele Entscheidungsträger (leider keine -innen) sich hinter einem so nicht haltbaren Amtsverständnis verbarrikadieren. Sie versuchen damit alle notwendigen Änderungen in einer demnächst priesterlosen Kirche zu hintertreiben. Wird nicht gelingen oder das Ding fährt noch ganz anders gegen die Wand. Nein: Katholische Kirche war schon immer auch Ort, von dem Kunst ausging, die weit über den Kreis der Gläubigen Faszination ausübte. Das reicht von klassischen Kirchenbauten wie z.B. dem Limburger Dom oder Kloster Eberbach oder aus unserer Zeit einem Bau wie dem Kolumba-Museum (Zumthor). Konklusio: Sollte Kirche es (wieder) hinbekommen, das im Alltag benötigte Schwarzbrot zu liefern, darf sie auch ab und an für besondere Projekte Geldbeträge in die Hand nehmen, um Besonderes und im Gedächtnis der Menschen (nicht nur der Gläubigen) Haftendes zu schaffen. Aber klar ist auch, dass dies nur die Ausnahme bleiben kann…

Eine Fußnote: Klaus Kugler, Pfarrer der Rochus-Kirche und ein Förderer des Projektes, war nur noch posthum zugegen. Seine Urne steht wie viele andere seit kurzem in der Grabeskirche.

Links: Ensemble von rejoint

*als Ersatz für den verloren gegangenen Artikel aus dem Mai 2022

Russen in Berlin – nicht alle Russen sind Kriegstreiber

An diesem besonderen Wochenende, an dem sich der brutale Überfall auf die Ukraine zum ersten Mal jährt, habe ich am Freitag (24.2.23) in der Rochus-Kirche hier in Köln-Bickendorf ein bewegendes Konzert mit jungen Musikerinnen und Musikern aus der Ukraine gehört. Die Qualität der musikalischen Beiträge war absolut riesig und spricht dem russischen Hochmut über eine angeblich zweitrangige Ukraine auch auf diesem Gebiet hohn. Ich wünschte, alle Beteiligten könnten bald in eine sichere und unbedrohte Ukraine zurückkehren (falls sie dies wollen). Ich weiß aber auch, dass das zur Zeit ein etwas naiver Traum ist.

Trotzdem ist es wichtig im Kopf zu behalten, dass nicht alle Russinnen und Russen mit den gleichgeschalteten und einer beständigen Gehirnwäsche unterzogenen Bewohnern dieses Staates in einen Topf geworfen werden dürfen. Der Tagesspiegel hat 3 Neu-Berlinnerinen und -Berliner vorgestellt, die den Sprung nach Berlin ins kalte Wasser einem korrumpierenden Leben in Russland vorgezogen haben. Ein anderes, passendes youtube-Video aus dem Sommer füge ich hinzu.

Russen in Berlin: Sasha Andjelo

Russen in Berlin: Natalie Goldman

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„Lieber Thomas“ – Film zu Thomas Brasch jetzt im Kino

Zu den wenigen Dingen, die man an der DDR positiv hervorheben kann, gehören die Enfants terribles, die sie hervorgebracht hat. Der rotlackierte Obrigkeitsstaat hat eben einen enorm großen Widerstand im Namen von Selbstbestimmung und Freiheit verursacht. Namen, die mir hier einfallen: Volker Braun, Wolf Biermann, Florian Havemann, Sascha Anderson (trotz Spitzel-Diensten), Nina Hagen und sicher auch Thomas Brasch.

Diesem ist ein fulminanter Film gewidmet, der seit letztem Donnerstag in den Kinos läuft. „Lieber Thomas”, in sieben Kapitel gegliedert, vermittelt zunächst wichtige Stationen auf dem Weg des späteren Schriftstellers und Regisseurs. Einem braven Biopic entkommt der Film aber dadurch, dass Braschs Geschichte auf’s Engste mit deutscher Zeitgeschichte verschränkt ist. (Andreas Kilb hat in seiner Besprechung des Films in der FAZ daraus den entgegen gesetzten Vorwurf abgeleitet, dass der Film weder der privaten noch der öffentlichen Ebene gerecht werde.) Der Film zeigt Thomas zunächst in einer Kadettenanstalt, die er allerdings bald wieder verlassen darf. Hierfür sorgt sein Vater Horst Brasch, als stellvertretender Kultusminister hoch in der DDR-Nomenklatura angesiedelt. Vater Horst und Sohn Thomas erscheinen trotz des karriereabträglichen Endes dieser Schullaufbahn in dieser Phase als miteinander verbunden. Der Bruch mit der eigenen Herkunftsfamilie, beide Eltern als Juden und Kommunisten im englischen Exil gewesen, vollzieht sich erst später drastisch. Der Vater denunziert den Sohn bei den Staatsorganen wegen dessen Teilnahme an Protesten gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings. Thomas wird verhaftet und landet im Gefängnis. Kurze Zeit später wird er zur „Bewährung in der Produktion” entlassen.

Parallel hierzu entwickelt sich Thomas als fast schon besessener Schriftsteller. Das wilde Schreibmaschinengeklapper ist im Film der basso continuo seiner frühen Jahre und transportiert seine ungezügelte Energie. Dann greift die Zeitgeschichte ein zweites Mal machtvoll ein: Im November 1976 wird Wolf Biermann nach seinem Konzert in Köln die Staatsbürgerschaft der DDR entzogen. Die Proteste dagegen führen im Jahr 1976 schließlich dazu, dass Brasch im gleichen Jahr mit seiner Freundin Katharina Thalbach nach West-Deutschland ausreist. Dort hat er zwar seinen literarischen Durchbruch mit „Vor den Vätern sterben die Söhne” [sic!], ist aber – abgenabelt von der alten Umgebung – im Westen niemals heimisch geworden.

Der Film zollt mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern dem bekanntesten Film von Brasch, „Engel aus Eisen” (1980) Tribut und überzeugt vor allen Dingen durch seine Darsteller und Darstellerinnen. Albrecht Schluch gibt einen Brasch, der als Wortberserker und Umgetriebener sich niemals mit Vorgefundenem anfreundet. Dieser Darsteller ist eine Wucht! Aber auch die anderen Akteure im Film halten da mit. Bemerkenswert ist ebenfalls die Filmmusik, die einen breiten Bogen von Bach über Cool Jazz bis Punk aufspannt. Unbedingt sehenswert.

Wer weitere Hintergründe der Familie Brasch kennenlernen möchte, kann auf Filmschnipsel seiner Schwester Marion Brasch zurückgreifen. Sie hat im Buch („Ab jetzt ist Ruhe. Roman meiner fabelhaften Familie”) und in diversen Interviews Zeugnis von dieser besonderen Familiengeschichte gegeben.

P.S.: Ein spannendes Interview mit dem Regisseur Andreas Kleinert und eine Filmbesprechung in der taz.














Die Brüder Brasch – Thomas, Klaus, Peter

Bis Mitternacht – Krimi-Kammerspiel auf höchstem Niveau

Vieles von dem, was einem in den öffentlichen Fernsehkanälen angeboten wird, taugt nur zum Abschalten. (Private stehen diesem „Qualitätsniveau“ in nichts nach.) Um so erfreulicher, wenn ein profilierter Regisseur wie Dominik Graf sich für einen Film gewinnen lässt wie zuletzt beim Polizeiruf 110 unter dem Titel „Bis Mitternacht“. Dieses Ergebnis lässt sich in jeder Hinsicht sehen.

Zum Hintergrund: Ein junger Mann wird von seinen Zwangsvorstellungen und sexuellen Begierden hin und her gerissen. Er ist schon einmal bei einem Mordfall in das Fadenkreuz der Ermittlungen der Kriminalpolizei geraten. Diese konnten jedoch nicht genügend Material zusammentragen, um ihm das Handwerk zu legen. Nach einem neuen Vergewaltigungs- und Mordversuch kann er festgesetzt werden. Auch dieses Mal steht es aber auf der Kippe, ob die Beweise für eine Untersuchungshaft ausreichen. Die beinharte Grenze für ein Verhör ist Mitternacht. Nach 24 Uhr muss der junge Mann freigelassen werden.

Wie die zunehmend verzweifelteren Versuche, den Mann zu einem Geständnis zu bewegen, ablaufen, wird überaus fesselnd erzählt. Dass die Handlung selten außerhalb des Verhörraums stattfindet, ist kein Manko, sondern äußerste Verdichtung. Zudem ist viel Gruppendynamik im Spiel: Frau gegen männerdomininiertes Umfeld, junge Einsteigerin gegen alten Hasen, Fragestrategien um einen sehr intelligenten Täter, die trotz des Drucks auch Menschenwürde und -rechte beachten müssen…

Der Film hat mich in seiner Zuspitzung auf die Schuld-Problematik an „Dead Man Walking“ erinnert. Große Kunst und überzeugende darstellerische Leistungen bei allen Rollen. Warum kommt Fernsehen so selten mit dieser Qualität??

Noch eine Weile hier zusehen. Unbedingt empfehlenswert!

 

Grüner wird’s nicht – Sommerkino in der Mediathek

Selten ist Fernsehen im Degeto-Format vergnüglich. Deshalb soll hier auf ein nettes und mit dem notwendigen Maß an Tiefgang versehenes „Roadmovie” hingewiesen werden. Schon als Qualitätsmerkmal kann man verbuchen, dass das 90-Minuten-Korsett abgelegt wird.

Überzeugend Elmar Wepper, eine vom Gaga-Sprößling zur warmherzigen jungen Frau mutierende Emma Bading und eine mit sprödem Charme versehene Dagmar Manzel. Noch eine Weile hier in der Mediathek zu sehen.

„Ein verborgenes Leben“ – Epos um katholischen Kriegsdienstverweigerer

Ich muss gestehen, August Diehl gehörte bislang nicht zu meinen Lieblingsschauspielern: irgendwie zu glatt sein ebenmäßiges Gesicht, die Rollen, die er spielte, blieben auch nicht im Gedächtnis pappen. Dass wird mir mit dem jüngsten Film, in dem er die Hauptrolle spielt, nicht passieren. Der von Terrence Malick – bekannt geworden durch Tree of life – gedrehte Film lässt ihn besonders in den zahlreichen Nahaufnahmen als einen bewegenden Charakterdarsteller erscheinen.

Worum geht es in diesem Film? Die katholische Kirche hat zwar wahrlich im 3. Reich keine Musterrolle abgegeben. Ihre Staatsferne hat aber – anders als bei den evangelischen Kirchen Deutschlands – unter dem Strich für eine größere Distanz zum Nazi-Reich gesorgt. Einige mutige Männer (Nikolaus Groß, Karl Leisner, Bernhard Lichtenberg, Rupert Mayer SJ, Maximilian Kolbe und Alfred Delp SJ) und Frauen (Edith Stein und Sophie Scholl) und eben der im Zentrum des Films stehende Franz Jägerstätter haben als Glaubenszeugen gegen den Nazi-Staat opponiert und dies mit dem Leben bezahlt. Was erzählt der Film über Franz Jägerstätter?

Schon die ersten Bilder entführen in eine idyllische Berglandschaft, in der die Grazer Alpen eine mal beeindruckende, mal drohende Kulisse schaffen. Franz liegt sorglos mit seiner Frau Fani auf einer Bergwiese und erfreut sich des Lebens. (Fani-Darstellerin Valerie Pachner steht übrigens kaum gegen August Diehl zurück.) Eine Rückblende zeigt, wie Franz mit einem Motorrad ins Dorf gelangt und bald bei einem Fest die junge Frau für sich gewinnen kann. In langen Passagen – der Film bringt es auf 174 Minuten – wird dann das weitere Leben entfaltet: Das eher beschwerliche Leben auf dem Bauernhof, die trotzdem unbeschwert heranwachsenden Töchter, die die Familie erweitern, eine Zeit beim Militär, in der Franz noch willig mit dem Bajonett Strohpuppen aufspießt. Erst beim Schwur auf dem Kasernenhof auf Adolf Hitler verweigert sich Jägerstätter, was aber zunächst ohne Folgen bleibt.

Als Hitlers Krieg beginnt, wird die Auseinandersetzung auch im fernen Dorf schärfer. Franz kann in das allgemein geäußerte Freund-Feind-Denken nicht einstimmen und wird in einer kriegsbejahenden Männerwelt zunehmend zum Außenseiter. Auch Prügel bleiben ihm nicht erspart. Weiter passiert aber zunächst einmal – nichts. Finanzielle Vergünstigungen, die Franz erhalten könnte, nimmt er aus Vorbehalten gegen den Nazi-Staat nicht an. Die Ablehnung der Familie im Dorf bekommen inzwischen auch die Frauen – die Schwester Fanis kommt hinzu – und Kinder zu spüren. Rückhalt dort erfährt der isolierte Franz beim Pfarrer (von Tobias Moretti gespielt), weniger beim Bischof, der klare Aussagen vermeidet. Den entschiedensten Beistand erfährt Franz aber in seiner Isolation durch seine Frau Fani: durch einen liebenden Blick oder eine zärtliche Geste.

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„Unschuldig“ – Fernsehen geht auch anders

Schlag 21.45 Uhr (manchmal auch Minuten früher) forderte unser Hund vernehmlich seinen letzten Pippi-Gang auf die Straße ein. Das sture Programmschema von ARD / ZDF mit 90-Minuten-Filmen hatte sich nach 15 Jahren in das Gehirn unseres Hundes geradezu eingefräst.

Um so erfreulicher, dass sich der gestrige Film „Unschuldig“ von diesem Kreativität und Schaulust einschränkenden Schema verabschiedete. Der mit bekannten Schauspielern (Felix Klar, Anna Loos) und weniger bekannten, aber überzeugenden Gesichtern (Britta Hammelstein, Sascha A. Geršak) besetzte Film wartete mit einer Laufzeit von 2 Stunden 54 Minuten auf. Diese beachtliche Zeit wurde genutzt, um die Charaktere sorgfältig zu entwickeln und die Ermittlungsarbeit der Kommissarin und ihrer Kollegen detailliert zu schildern. Nahaufnahmen der Gesichter setzten die zum Teil dramatischen Wendungen ins Bild.

Davon gerne mehr!

Link auf den Film in der ARD-Mediathek