Dem Meyerhoff verfallen

Mein Zugang zu Meyerhoff

Alles begann mit einem Geburtstagsgeschenk: Hamster im hinteren Stromgebiet klang zwar als Titel merkwürdig, aber die von Meyerhoff aus erster Hand beschriebenen Erfahrungen mit Schlaganfällen konnte ich mühelos mit entsprechenden Erlebnissen in der Familie verknüpfen. Meyerhoff benutzt aber seine Erlebnisse nicht etwa zu ausgestelltem Selbstmitleid, sondern verwendete Sprache von Anfang an und schon in der Krankheit, im Krankenhaus als Distanzwaffe und Bewältigungsstrategie. Das fand ich spannend. Dazu kam viel Lokalkolorit mit diesem unglaublichen Wiener Schmäh und Schilderungen von den Anforderungen einer Patchwork-Familie. Schon gewusst, was ein von Jungmannen gerne angestrebter Fümriss ist? Bei Meyerhoff lässt es sich nachlesen. Statt kompletten Buchbesprechungen, hier noch Aspekte zu den anderen beiden Büchern, die mich ansprachen.

Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war –– Für mich vor allem ein Vaterbuch. Das Erzähler-Ich in der Zeitspanne vom Erstklässler bis zum Mitzwanziger. Die Schilderungen beziehen sich fast ausschließlich auf das Leben in und mit der vom Vater in Schleswig geleiteten Kinder- und Jugendpsychiatrie Hesterberg. Das abendliche Schreien der Patienten wird vom kleinen Josse nicht im mindesten als bedrohlich, sondern als beruhigender Soundtrack vor dem Einschlafen erlebt. Der Vater – unausgesprochener Mittelpunkt des Romans – wird als einerseits den Patienten und vor allem den Kindern zugewandter Patriarch beschrieben, der in praktischen Dingen aber immer wieder verlässlich und grotesk scheitert: Beim Abnehmen, beim Erwerb von Segelboot und Segelschein oder beim Dauerlauf. Immer wieder gewinnt Meyerhoff den Vorkommnissen viel Witz ab, ohne die Beschriebenen als defizitär zu brandmarken. Die Familie bleibt auch von tragischen Vorfällen nicht verschont: Der mittlere Bruder stirbt und die Familie bricht auseinander, als der Vater sich einer jüngeren Frau zuwendet. Als eine Krebserkrankung diesen auf den Boden der Tatsachen zurück bringt, kommt die ausgezogene Ehefrau zurück, um den Mann zu pflegen. In dieser Notsituation erlebt das Erzähler-Ich die Eltern zum ersten Mal tatsächlich als Paar, als er sich zu ihnen an’s Bett setzt: »Seltsam«, dachte ich, »das sind deine Eltern. Deine schlafenden Eltern. Du hast immer nur Vater und Mutter gehabt, aber niemals Eltern.« Der Vergeblichkeitsmodus des Romantitels kommt nicht von ungefähr: Familiengeschichte geschildert im nachträglich aufgedeckten Scheitern, aber auch mit ihren zum Brüllen komischen Aspekten und Momenten großer Innigkeit. Eine berührende Familiengeschichte.

Ach, diese Lücke, diese entsetzliche Lücke hat das Leben mit den münchner Großeltern und die Erlebnisse auf der Schauspielschule im Fokus. Das hochspezielle Großelternpaar – er emeritierter Philosophieprofessor, sie ehemalige Schauspielerin – sind der stabilierende Rahmen für die ersten Erkundungen des Schulabgängers in einer Großstadt. Dazu tragen auch eherne Rituale wie der 18 Uhr-Whisky, der Rotwein zum Essen und der nächtliche Cointreau bei. Das Leben in der Schauspielschule, in die aufgenommen zu werden erst mit Schwierigkeiten gelingt, ist eine Kette neuer Erfahrungen und vieler Niederlagen. Meyerhoff schont sich kein Stück, kann aber nachzeichnen, wie er sich dann mit sehr kleinen Schritten auf den Weg zum (später gefeierten) Mimen macht. Das macht Lust auf vergleichbare Lernprozesse und gewinnt dem Zusammenleben mit den Großeltern (Großvater als hochbetagter Stuntman) neben den traurigen urkomische Aspekte ab.

Schreibende Schauspieler haben mich schon seit einiger Zeit angesprochen: Matthias Brandt, Christian Berkel, Carl Zuckmayer (aus einer ganz anderen Zeit), Ethan Hawke (mit US-Hintergrund) und jetzt Joachim Meyerhoff. Alle Genannten vermitteln an keiner Stelle, dass hier Nebenerwerbsschriftsteller am Werk sind. Dazu sind deren Bücher zu gut geschrieben. Vielleicht ist das Eintauchen in andere Personen, wie sie jeder Schauspielerin / jedem Schauspieler abverlangt werden, wichtig, um mit Distanz, aber auch authentisch von der eigenen Person zu berichten. Wenn dabei – wie bei Meyerhoff – die Familiengeschichte so gut in Szene gesetzt wird, ist Lesevergnügen und -gewinn garantiert. Spiegel Bestseller ist für mich eher kein Label, auf das ich was gebe. In diesem Fall haben die Leser*innen aber einfach richtig entschieden.

 

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