Wiglaf Droste – Meister des Schafotts und des Floretts ist tot

In Zeiten, als ich noch die taz las, kamen seine Kurztexte – selten länger als 2 Buchseiten – regelmäßig ins Haus: sprachmächtige Kunststückchen, die an Polemik nicht sparten, manchmal aber auch ins Menschenverachtende umschlugen („Der Barbier von Bebra?). Dabei hatte er auch sinnlich-sanftere Seiten zu bieten, wenn er sich beispielsweise über die Kastanie in fast kindlicher Freude und mit liebevoll ausgeheckten Neologismen ausließ:

Anfangs hat man Mühe, ein paar gescheite Handvoll Kastanien zu finden, jetzt schöpft man aus dem Vollen: lauter Kastanien, und alles meine!
Wenn das Auge seinen Spaß gehabt hat, kommt das Haptische zu seinem Recht: befummeln, ja, ja, ja! Man nimmt die ungleich großen Bollern und dreht sie, prähistorische Meditationskugeln, mal gnubbelig, mal abgeplattet…

Laut schallend lachen musste ich, als ich eine Charakterisierung von Claudia Roth (für die Nachgeborenen: ehemalige Rio Reiser-Managerin und häufig zum Theatralischen neigende Grünen-Politikerin mit diskutabler Gewandung) erneut las:

Die Bayreuther Wagner-Festspiele besuchte sie in so heillos aufgemaschelter Garderobe, dass im Umkreis von 30 Kilometern die Blindenhunde knurrten.

Auch musikalisch kam ich mit ihm überein: Johnny Cash („American Recordings“, dazu sein Text „The Beast in me“) und  Van Morrisson stehen  bei mir ganz oben im Musikregal.

Streicht man die Stücke raus, die deutlich unter die Gürtellinie gingen, in denen Droste offensichtlich Probleme mit der Selbstregulation hatte, oder platte Feindbilder bedienten, kann ich mir vorstellen, einzelne Texte von ihm auch in künftigen Lesebüchern vertreten zu sehen.

Brandon Peak – endlich gemeistert

Im letzten Juni waren wir nur in die Nähe der Bergspitze von Brandon Peak gekommen. Die Strategie, den Grat zu umgehen und lieber unterhalb zu klettern, hatte sich als falsch erwiesen, weil sie uns an den Rand eines bedrohlichen und felsigen Kessels an der süd-westlichen Bergseite führte. Das hatte sich ziemlich beängstigend angefühlt…

Dieses Mal habe ich ohne Begleitung den Berg vom Connor Pass aus über Beenanabrack und Ballysitteragh erreicht. Dazu passierte ich einen Sattel unterhalb vom Ballysitteragh in nördlicher Richtung auf Brandon Peak zu. An ausgetorften Bergflächen entlang über eine zum Schluss recht steil ansteigende Wiese erreichte ich Gearhane An Géaran und kam zu einem Eisentor. Von dort waren über den Grat noch circa 200 knifflige Meter zu überwinden, bevor sich die Bergkuppe etwas weniger abweisend zeigte. Der großartige Blick Richtung Castle Gregory und auf die östlichen Berge der Dingle-Halbinsel machten die Anstrengungen und die ein wenig zu zügelnden Nerven wieder wett…

Ins B&B zurückgekehrt erfuhr ich, dass unlängst ein erfahrener Bergwanderer in diesem Bereich abgestürzt und in der Nähe eines Bergsees tot aufgefunden wurde. Ein Grund mehr, diesen Berg nicht zu unterschätzen.

Noch ein inhabergeführtes Fachgeschäft weg – dieses Mal Tonger

Ich hatte immer schon einen Packen Gitarrensaiten mehr gekauft, als ich eigentlich brauchte. Hat aber nichts genutzt. Nachdem Tonger schon verschiedentlich sein Quartier gewechselt hat (Am Hof, Nähe Dom – Nord-Süd-Fahrt – zum Schluss in der Zeughausstraße) scheint nun nach 197 Jahren Schicht im Schacht zu sein.

Sehr schade: Musicstore draußen in Kalk ist echt weit weg und hat den Charme einer Bahnhofsvorhalle. Die Geiz-ist-geil-Mentalität ist sehr kurzsichtig und wird den Leuten, die ein Instrument auch mal in die Hand nehmen wollen, das Stöbern, Sichten und Probieren nicht mehr lange möglich machen. Support your local dealer kann ich nur neudeutsch sagen.

Verabschiedet sich Indien aus der Moderne?

Die Süddeutsche Zeitung brachte an diesem Freitag (11.1.19) auf der Titelseite die Meldung 24 Flugzeuge des Dämons und berichtete über eine aufschlussreiche Rede des indischen Premiers Modi auf dem 106. „Indian Science Congress”. Dieser Rede zufolge verfügte der Gott Ravanna – quasi schon immer – über 24 verschiedene Flugzeugtypen. Ebenso absurd der Vorschlag, die Gravitationswellen nicht mit Einstein oder Newton, sondern eben mit dem aktuellen Ministerpräsidenten Indiens zu verknüpfen und als Narendra-Modi-Wellen zu benennen.

Glücklicherweise blieben diese Vorschläge und Ausführungen nicht ohne Widerspruch von Seiten indischer Wissenschaftler. BBC berichtet ebenfalls über diesen Kongress.

Fungie hat einen neuen Namen – „Solitärdelfin”

Dingles bester Botschafter – wahrscheinlich nicht mehr für lange Zeit – ist Fungie. Er lebt schon Jahrzehnte als Einzeltier in der Dingle-Bucht und gibt geschätzten 30 Leuten Lohn und Brot, die mit ihren Schiffen Fungie in der Bucht besichtigen lassen– man könnte auch sagen „tierisch auf die Pelle rücken”.

Fungie ist aber offenbar nicht der einzige atypisch lebende Vertreter seiner Spezies. Wie Jürgen Teipel über den Tierfilmer Roland Gockel berichtet, gibt es mehrere solcher Delfine, die sich eher an Menschen als an eine Gruppe ihrer Artgenossen binden. Eine verblüffende Pointe am Schluss des Artikels: Man ist sich am Ende gar nicht mehr sicher, wer hier um wen kreist…

Lesenswerter Artikel jedenfalls.

Lob der Sechziger Jahre

für Stephan (*1960 †2018)

Während in den 50er Jahren – ich bin selbst in deren Mitte geboren – noch eine gewisse Piefigkeit und Enge vorherrschten, waren die 60er Jahre auf breiter Front ein Jahrzehnt der Erneuerung und eines großen Optimismus. Selbst die Kuba-Krise im Oktober 1962 konnte daran nichts ändern. Der drohende Atomkrieg wurde in letzter Minute verhindert. (Kriegen Sie auch Schweißausbrüche bei der Vorstellung, wie der aktuelle US-Präsident diese vermutlich eben nicht gemanaget hätte?)

Kinder & mehr

Dieser Optimismus war zum Beispiel daran sichtbar, dass die Hiesigen mit einer Unbekümmertheit Kinder kriegten, die seitdem nicht wieder erreicht wurde. Der Familiengründung wurde kein fünftes Whiskey Tasting oder die Flugreise auf die Malediven vorgezogen. Gleichzeitig war es aber zunehmend akzeptiert, dass Pille oder Kondom zur Familienplanung genutzt wurden. Frauen wurde endlich gestattet, ein eigenes Konto zu eröffnen (1962) oder erhielten die Geschäftsfähigkeit (1969) – aus heutiger Sicht kaum zu glaubende Anachronismen. Dass auch Mütter berufstätig wurden wie bei uns, half nicht nur das Haushaltseinkommen zu vergrößern, sondern tarierte auch die Partnerschaft besser aus.
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mayday – mayday … but no May day

Man fragt sich: Warum tut sich die Frau das an? Als Remainer die Aufgabe zu schultern, den von Boris Johnson, Nigel Farrage und Co losgetreteten Brexit in ausführbare Politik umzusetzen. Ein 6-stündiges Kabinettsmarathon durchzustehen und dann vor der Kamera eine Erklärung abzugeben, die den Bruch nur notdürftig überdeckt. Die Erfahrung zu machen, dass wichtige Mitarbeiter im halben Dutzend von der Fahne gehen. Und ständig im Nacken zu haben, das ein Misstrauensvotum oder Neuwahlen bevorstehen könnten.

Nein, Theresa May ist um ihren Job nicht zu beneiden. Auch die zur Schau gestellte Zuversicht (strong and stable in Endlosschleife) hatte die Wähler bei den vorgezogenen Wahlen nicht überzeugt. Und jetzt steht noch die vermutlich unlösbare Aufgabe bevor, das Brexit-Vertragswerk durch das Parlament zu boxen.

Die Alternative: ein unkontrollierter Brexit mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Verwerfungen. Die Pille, die noch das ganze UK schlucken muss, ist dabei noch gar nicht mitgerechnet: British Empire 2.0 wird es nicht geben. Bis Handelsverträge mit möglichen Partnern abgeschlossen werden könnten, werden Jahre ins Land gehen. Sollte Großbritannien auf Lohndumping setzen, werden die Arbeiter nicht mitspielen. Und die EU wird es nicht zulassen, dass ein unlauterer Wettbewerber vor ihrer Haustür startet.

Auch die Spannungen im eigenen Land (Nord-Irland, Schottland) tragen nicht dazu bei, dass in den nächsten Monaten ein himmlischer Frieden ausbrechen und May ruhig schlafen könnte. Es wäre nicht verwunderlich, wenn in einigen Jahren das ganze Vereinigte Königreich tatsächlich den Notruf mayday absetzen müsste. An May wird man sich dann ungefähr so lebhaft erinnern wie an Edward Heath oder John Mayor.

Pharrell Williams verbietet sich „Happy“

Der amerikanische Vollpfosten*, so herz- wie hirnlos, hatte nichts besseres zu tun, als am Tag des Attentats auf eine jüdische Synagoge in Pittsburgh mit 11 Toten das Lied „Happy“ auf einer Wahlkampfveranstaltung spielen zu lassen. Das Stück stammt von Pharrell Williams, der mir noch eher durch Get lucky, was mächtig in Beine und Ohren geht, bekannt war.

Pharrell hat – vertreten durch seinen Anwalt – mit deutlichen Worten sich einen derartigen Missbrauch seines Liedes unter solchen Umständen verbeten und Klage angedroht, die sich auf alle Songs von Pharrell bezieht.

On the day of the mass murder of 11 human beings at the hands of a deranged ‘nationalist,’ you played his [i.e. Pharrells] song ‘Happy’ to a crowd at a political event in Indiana […] There was nothing ‘happy’ about the tragedy inflicted upon our country on Saturday and no permission was granted for your use of this song for this purpose.

Danke, Pharrell

* Eigentlich liegt mir Unhöflichkeit fern. Wenn der mächtigste Mann der Erde wiederholt andere Leute nachäfft, sich über den Missbrauch von Frauen lustig macht oder ihn selbst betreibt und an die niedrigsten Gefühle seiner Wähler appelliert, hat er seinen Anspruch auf Höflichkeit verwirkt.