Alexander Groß verstorben

Wir schrieben die siebziger Jahre. Ökokrise, die Nachwehen der Studentenbewegung und die Einsicht, dass sich vieles ändern musste / sollte, bestimmten die Stimmung. Den Zivildienst wollte ich nach dem Abi 1974 möglichst bald antreten und wartete auf die Einberufung. Eine Tagung in der nahen Jugendakademie Walberberg, veranstaltet in Kooperation mit dem Deutsch-Französischen Jugendwerk, schien da gerade passend. Mehr als eine Woche verhandelten wir das Thema Emanzipation, ja es verleitete auch ein wenig zum Schwafeln. Die Jugendakademie hatte bei mir entgültig gewonnen, als mich Alex, der langjährige Leiter, ansprach mit dem Spruch Der Mann der aufgehenden Sonne. Ich trug ein Hemd, das in Knüddelbatiktechnik gefärbt war und fühlte mich wahrgenommen.

In der Folgezeit kam ich häufiger in dieses von Bonn und Köln gleich gut erreichbare winzige gallische Dorf, in dem Alexander Groß als Häuptling der kleinen linkskatholischen Enklave im sonst wenig erbaulichen Erzbistum Köln fungierte. Angeboten wurden Wochenendseminare zu Themen, die mich damals bewegten: Paulo Freire und seine Pädagogik der Unterdrückten, Literaturseminare mit Anatol Feid OP, theologische Seminare zu Ostern und Pfingsten, die mir viel bedeuteten. Bald konnte ich auch selbst als Co-Teamer auftreten, z.B. bei einem Seminar zum Thema Wolf Biermann.

Neben den Themen war aber auch das ungezwungene Zusammensein mit anderen jüngeren und älteren Leuten spannend. (Die Jugendakademie war hier schon früh sehr inklusiv.) Dort lernte ich eine Reihe mir wichtiger Leute kennen, nicht zuletzt meine Frau Birgit.

War Alexander Groß anfangs noch eher ein liberaler Christdemokrat, radikalisierte er sich in der Folgezeit deutlich. Als im Zuge der Nachrüstungsdebatte die Verletzung der Bannmeile um den Bundestag als Protestform gewählt wurde, stand er nicht zurück. Ein weiteres Lebensthema war der Kampf gegen eine umstandslose Vereinnahmung seines Vaters Nikolaus Groß. Dieser war noch im Frühjahr 1945 als Widerstandskämpfer hingerichtet worden und die katholische Kirche, die noch der Witwe mit ihren Kindern die Wohnung gekündigt hatte, beanspruchte ihn auf einmal für sich. Hier hielt er dagegen.

Unvergessen für mich sind die Fahrten noch zu DDR-Zeiten nach Dresden, wo Christen einen schweren Stand gegen die DDR-Diktatur hatten, aber phantasievoll protestierten. Schön, dass der Austausch teilweise auch bei Ausflügen ins Elbsandsteingebirge statt fand.

Die letzten Jahre von Alexander Groß waren durch seine Krankheit geprägt. Liebevoll unterstützt von seiner Frau Irene mischte er sich aber, wenn immer möglich, weiter ins Geschehen in der Stadt ein. Am 24.9.2019 ist Alex verstorben. R.I.P.

Zeitung elektronisch – wie gut klappt das? Zwischenbilanz

Seit bald zwei Monaten beziehen wir die Süddeutsche als elektronisches Medium. Der Hauptgrund für die andere Form des Abonnements waren für mich der um ein Drittel geringere Preis und die Möglichkeit, ohne lange Mitteilung an die Abo-Verwaltung die Zeitung auch andernorts leicht lesen zu können. (Die Zeiten, in denen man zumindest in Kleinstädten im Urlaub auch schon mal eine Süddeutsche oder FAZ bekam, sind lange vorbei.) Die Pros and Cons eines solchen Abos sind schnell aufgezählt.

Positiv
• Auch in elektronischer Form ist das Layout der Zeitung durchaus ansprechend: Bilder werden oft farbig dargestellt, es wirkt nicht schablonenhaft aus der Datenbank gefüttert. Offenbar guckt auch ein Layouter am Ende noch mal drüber.
• Es gibt sogar Raum für die Einbindung von anderen medialen Formen wie heute einer multimedialen Darstellung zum Thema Globale Erwärmung / CO2.
• Die Zeitung kann schon abends für den Folgetag heruntergeladen werden.
• Sobald die Zeitung aus dem Kiosk runtergeladen wurde, steht sie auch offline z.B. auf dem Tablett zur Verfügung, kann dann in Bus oder U-Bahn gelesen werden.

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Der beste Wanderhund ist tot

Noah, nicht nur mit biblischem Namen, sondern mit einem ebensolch biblischen Lebensalter versehen, hat uns vorletzten Sonntag verlassen. Wir trauern um einen Hund, der uns 15 1/2 Jahre begleitet und unser Leben bereichert hat. Es tröstet minimal, dass er nicht lange leiden musste.

„They [die Kurden] didn’t help us with Normandy” – ARGG!!!

„Mir fällt zu Hitler nichts ein” schrieb Karl Kraus in seinem Aufsatz Die Dritte Walpurgisnacht von 1933. (Das stimmte nicht ganz, da er sich doch zu ihm analysierend geäußert hat.) Trotzdem kann ich das Gefühl, dass man schreibend einem irrlichternden Phänomen wie Hitler nicht beikommt und sich deswegen ohnmächtig fühlt, gut nachvollziehen, wenn ich an Trump denke.

Nun täte man Trump zu viel Ehre an, ihn in dieser Kategorie von Bösewichtern anzusiedeln. Dennoch bleibt bei der Vielzahl von Skandalen, offenkundigen Fehleinschätzungen, Bürgerkriegsrhetorik, dem feindseligen Ton gegen viele Minderheiten im eigenen Land etc. pp. der Eindruck, dass man schreibend dem Phänomen Trump nicht beikommt. Viele seiner Wähler teilen offenbar dieselbe geringe Bildung wie dieser Präsident. Anders kann man nicht erklären, dass – der aktuelle Fall – eine Äußerung wie „they [die Kurden] didn’t help us in the Second World War. They didn’t help us with Normandy, as an example.” nicht einen kollektiven Aufschrei der Entrüstung ausgelöst hat.

Wieso in aller Welt hätten Kurden in diesen für sie eher an der Peripherie angesiedelten 2. Weltkrieg eingreifen sollen? Sie hatten genug damit zu tun, sich in einem auf die Länder Iran, Irak, Türkei und Syrien aufgeteilten Siedlungsgebiet zu behaupten. Den eingeforderten Beistand („they didn’t help us”) hat Trump jedenfalls den Kurden, die die militärisch verlustreichen Bodenoperationen z.B. in Mossul durchgeführt haben, nachhaltig entzogen. Jeder, der in Zukunft eine militärische Kooperation mit US-Amerika eingeht, kann sicher sein, dass er sich auf nichts und niemanden verlassen kann. Nicht mal im ureigensten amerikanischen Interesse handelt der Cretin mit Inselbegabungen. Den IS oder vergleichbare Gruppen für besiegt und ungefährlich zu halten, ist bodenlos dumm. Womit sich der Kreis schließt.

Kann nicht mal einer von den (vielleicht) verbliebenen Grown-Ups im Weißen Haus diesem Trump auf die Finger hauen? Kurden haben übrigens, wie die New York Times berichtet, durchaus am Kampf gegen Hitler teilgenommen.

Boris Johnson – der Windbeutel ist geplatzt

Eigentlich hätte der gesunde Menschenverstand BoJo sagen können, dass das Außerkraftsetzen des Parlaments in einer Phase, die nun wirklich über die Geschicke des Landes entscheidet, mit Demokratie wenig zu tun hat. Er hat es jetzt schriftlich von mutigen Richterinnen und Richtern mit nicht zu überbietender Deutlichkeit gesagt bekommen: Deine Beurlaubung des Parlaments über 5 Wochen war von allem Anfang an unrechtmäßig und nichtig.

Die Schreier der Pro-Brexit-Fraktion werden jetzt wieder den Volkswillen auf quasi übernatürliche Weise für sich beanspruchen. Wahrscheinlich wird es BoJo aber kein 2. Mal riskieren, wieder per Gericht über seine Pflichten belehrt zu werden. Seinen Plan, den Parlamentsbeschluss gegen einen ungeregelten Brexit zu ignorieren, wird er vermutlich begraben.

Bleibt dem UK zu wünschen, dass bald jemand – nach dem 31.10. – als PM gewählt wird, die oder der das zerrissene Land wieder zusammenführt und den Pragmatismus wieder zur Leitlinie macht, der mal ein Markenzeichen des UK war. Die Äußerungen von BoJo aus New York lassen aber ahnen, dass er zumindest nichts kapiert hat.

Surfin’ the Oberallgäu #5 — Hochgrat – Scheidwang-Alm – Girenkopf/Heidenkopf – Balderschwang

Von der Bergstation der Hochgratbahn aus dem gut ausgeschilderten Weg zur Scheidwang-Alm folgen. Hinter der Scheidwang-Alm, in die man auch einkehren kann, den Hang über eine Weide in südlicher Richtung besteigen. Der Weg führt im Talkessel auf der linken Seite bergan, bis man den Kammweg erreicht (in der Karte als Oberallgäuer Rundwanderweg bezeichnet). Ich habe Heidenkopf und Girenkopf ausgelassen und bin über eine Weide (der Weg war nach Regenfällen zum Teil lehmig und glitschig) auf der gegenüberliegenden Seite Richtung Balderschwang abgestiegen. Eine kleine Gruppe von Pferden auf dem Weg habe ich möglichst großräumig umgangen. (Was weiß man schon über Pferde?). In Balderschwang im Tal angekommen, kann man den Bus Richtung Deutschland nehmen (nur einen oder zwei pro Tag) oder macht es wie ich per Anhalter. Nach kurzer Zeit war ich zurück in Weissach.

Wanderdauer: ca. 6 Stunden

DISCLAIMER: Beim Anstieg zwischen Girenkopf und Heidenkopf unbedingt dem ausgetrampelten Pfad auf der linken Seite des Talkessels folgen. Die Via Recta, die ich gewählt habe, hat mich ganz schön in Gefahr gebracht.

Surfin’ the Oberallgäu #4 — Weissach-Tal / Gündleskopf / Hochgrat

Mit dem Bus bis zur Talstation Hochgratbahn fahren, von dort aus ins Weißach-Tal flussauf gehen. An einer Hängebrücke – in meiner Karte als Hohe Brücke verzeichnet – die Weissach queren. Der Weg führt an einer Wanderhütte vorbei und steigt in süd-östlicher Richtung allmählich an, verbleibt dann aber für einige Zeit auf annähernd gleicher Höhe. Am Rindalper Tobel nimmt der Weg eine südliche Richtung und verläuft für eine Weile auf einem Wirtschaftsweg und passiert zwei Almen (Rind-Alm und Obere Rind-Alm). Bei der ersten gibt es die Möglichkeit einzukehren. Der Weg steigt nun steiler an, passiert eine aufgegebene Alm, von der nur die Grundmauern zu sehen sind und erreicht zwischen Gündleskopf und Rindalphorn den Kammweg. (Im Vergleich zur Brunnenauscharte empfand ich den Aufstieg als weniger anstrengend.)

Über diesen Kammweg kann man über den Gleichenwanger Kopf und den Hochgrat leicht die Bergstation der Hochgratbahn erreichen. An einem heißen Tag entschied ich mich für den um den Hochgrat herumführenden Panoramaweg, was ich sehr bereute: Der Weg bedeutete, nicht weniger Höhenmeter zu bewältigen und dauert mindestens ebenso lange. Schon beim Aufstieg über den Rindalper Tobel hat man gute Aussicht auf die gegenüberliegende Bergkette mit Vorderer Prodel und Denneberg. Erst recht auf dem Kammweg weite Sichten in die vorarlberger und schweizer Alpen sowie zum Schluss auf den Bodensee.

Wanderdauer: 6,5 Stunden

Dancer – Dokufiction über Rudolf Nurejew

Wer den Film Billy Elliot gesehen hat, erinnert vielleicht die Schlussszene, die mich auch heute noch rührt: Billys Vater und Bruder Tony sitzen im Opernhaus, Billy hat noch vor seinem Auftritt die Nachricht erhalten, dass Vater und Bruder zuschauen. Und dann setzt Billy, seinen eigenen Auftritt beginnend, zum Sprung an. Dank Slow Motion dauert dieser eine ganze Weile, bevor er zum Schlussbild einfriert. Das ist nicht nur großes Kino, sondern machte mir zumindest deutlich, weshalb Balett auch heute noch große Begeisterung auslöst. Für mich war es die Kombination aus athletischer Kraft, großer Form, die nur mit fast endlosem Üben zu Stande kommt, und begeisternder Musik.

Zwei Generationen vor dem Film-Billy hat Rudolf Nurejew die Balletwelt betört. Diese Leitfigur des neuzeitlichen Baletts war tatarisch-russischer Herkunft und ist der Mittelpunkt des Romans Dancer von Collum McCann. Der irisch-amerikanische Schriftsteller hat sich mit diesem 2003 veröffentlichten Roman in die erste Reihe englisch-sprachiger Romanautoren der letzten Jahrzehnte geschrieben. Faszinierend ist die Vermischung von biographischem Material von und über Nurejew, das McCann mit eigenen Figuren und Begebenheiten um diesen Ausnahmetänzer herum anreichert. Gerade durch die Vielstimmigkeit des Romans, immer wieder andere Ich-Erzähler bringen ihre subjektive Perspektive ein, entsteht ein faszinierendes Portrait. In wieweit damit die reale Figur Nurejew abgebildet wurde, steht dahin, ist aber nur von minderer Bedeutung.

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Tag des offenen Denkmals: Jüdischer Friedhof in Deutz

Nach und trotz der Shoah zeigen jüdische Friedhöfe, wie lange schon Juden in Deutschland lebten und leben. Köln besitzt auf seinem heutigen Stadtgebiet sieben jüdische Friedhöfe. Gestern war es im Rahmen des Tags des offenen Denkmals möglich, den großen Deutzer Friedhof besuchen zu können. Davon habe ich gerne Gebrauch gemacht. Esther Bugaeva von der Synagogengemeinde Köln gab eine kundige und charmante Führung über diesen Friedhof, der normaler Weise nicht zugänglich ist. Seinen Ursprung hatte der Friedhof im ausgehenden 17. Jahrhundert, als der erste Kölner Judenfriedhof in Raderthal („Zum toten Jüt”) geschlossen wurde und jüdische Bürger sich außerhalb von Köln (Deutz war noch eigenständig!) eine neue Begräbnisstätte suchen mussten. Die ältesten der mehr als 5.000 Gräber fallen daher in die Zeit von 1695. Trotz des beachtlichen Alters lassen sich auch heute noch manche Familiensymbole entziffern: Grabstätten von Angehörigen der Priester-Familie Cohen sind an den gespreizten segnenden Hände, die der Famlie Levi an einem Krug-Symbol zu erkennen.

Im übrigen spiegelt dieser Friedhof die wechselvolle Geschichte der jüdischen Gemeinden im Rheinland: Für die erste Zeit überwiegen jüdische Grabinschriften. Da anfangs Handwerke den Juden verboten waren, haben die nicht-jüdischen Steinmetze manches hebräische Schriftzeichen verhunzt. Nach Napoleon beginnt die Zeit der Emanzipation der Juden im Rheinland: Grabmäler zeigen jüdische und deutsche Inschriften – besonders prachtvoll als Beispiel dieser Zeit ist das Grabmal der Theresa Oppenheim. Bis zur Shoah nimmt der Anteil der deutschen Inschriften im Vergleich zu den jüdischen Schriftzeichen weiter zu.

Kulturgeschichtlich besonders interessant sind – ebenfalls in Deutz zu finden – die Grabmäler von Moses Hess, einflussreich für Karl Marx, aber auch den späteren Zionismus, Isaak Offenbach (Vater von Jacques Offenbach) und ein besonderer Bereich für Angehörige der Familie Oppenheim, die Köln besonders zugetan war.

Ein Besuch des Friedhofs lohnt in jedem Fall (bin eigentlich eher kein Friedhofsgänger). Besuchstermine außerhalb spezieller Anlässe finden sich auf der Seite der Synagogengemeinde Köln. Männer sollten an eine Kopfbedeckung denken.

Jüdische Friedhöfe auf Kölner Stadtgebiet

JF Raderthal – „Zum toten Jüt” – in der Nazi-Zeit aufgehoben

JF Deutz – Judenkirchhofsweg / Köln-Deutz // zwischen 1698 und 1941 genutzt

JF Köln-Mülheim – am Springborn – Nähe Neurather Ring // zwischen 1774 und 1942 genutzt

JF Köln-Ehrenfeld / Teil des Melatenfriedhofs // zwischen 1899 und 1918 genutzt

JF Köln-Deckstein / Adass Jeschurun // zwischen 1910 und 1945 (?) genutzt

JF Köln-Böcklemünd / Venloer Straße // ab 1918, noch heute genutzt

JF Köln-Zündorf // zwischen 1923 und 1942 genutzt