Boris Johnson – der Bock wird Gärtner

Das Erwartbare ist eingetreten: Mit 2/3 der aufgerufenen Mitglieder der Conservative Party ist Johnson zum neuen Premierminister des Vereinigten Königreichs geworden. Zum Mitschreiben: Die 92.153 Wähler der Konservativen, die Johnson in einer Briefwahl ihre Stimme gegeben haben, entsprechen etwa 1,47 % der Gesamtbevölkerung von 60.800.000 Bewohnern (Zensus 2011). In einer Situation, wo die Regierungen Weichenstellungen für Jahrzehnte vornimmt, ist das schlichtweg absurd. Das Land, das mit der Glorious Revolution von 1688 schon erste Schritte Richtung Volksbeteiligung und Einschränkung der Königsmacht beschritt, entpuppt sich dieses Mal in seiner eigenen Tradition hoffnungslos verfangen. Wie soll ein „Clown“ – auf diesen Begriff konnten sich viele Beobachter einigen – den schwierigen Austrittsprozess aus der EU gedeihlich für beide Seiten moderieren? Sachkenntnis ist nicht Boris’ Ding (siehe seine Bemerkungen zum Artikel 24, Paragraf 5 b des GATT-Abkommens, als er sich von einem BBC-Reporter sagen lassen musste, was dessen Inhalt sei) und nur den Hanswurst und unkonventionellen Haudrauf zu machen, wird die Probleme nicht lösen.

Man kann nur hoffen, dass das Parlament, das schon mal Tagungstermine Mitte Oktober sicher gestellt hat, ihn an Schnellschüssen hindert. Auch die Wirtschaftverbände, denen Johnson ein „fuck economy“ zurief, werden hoffentlich an seiner Bändigung mitwirken.

Abschied von der Zeitung

Seit dem zwölften Lebensjahr lese ich regelmäßig Tageszeitungen: Am Anfang war es die FAZ: gerne auch mal eine Stunde lang, das brachte Anerkennung für Allgemeinwissen, vielleicht auch eine Strategie, die Pubertät zu überstehen. In der Studienzeit leisteten wir uns in der WG die Frankfurter Rundschau, damals noch ein profiliertes Blatt, das mit einem Lokalteil wichtige Informationen zu einem der Zentren der Studentenbewegung lieferte. Nachdem Autonome die Lokalredaktion der taz in Hamburg verwüstet hatten, wechselten wir dann zur taz. Die war zwar dünn, betrat aber in vielen Bereichen journalistisches Neuland: neuartige, kesse Überschriften („Kahn passieren“ zu einem verlorenen Weltmeisterschaftsspiel) und ein Experimentier- und Probierfeld für Vieles. Sie druckte auch einige wenige Texte von mir ab, was mich damals mit Stolz erfüllte. Als mir das Christen-Bashing irgendwann reichte, sattelte ich zur Süddeutschen um.

Diese Zeitung ist nach wie vor eine meiner favorisierten Informationsquellen und hat sich durch viele kostenträchtige Projekte des investigativen Journalismus (u.a. Panama-Papers) ausgezeichnet. Alleine die monatlichen 67,90 € auf den Kontoauszügen haben mich dazu gebracht, erst mal auf tägliche Papierausgaben von Zeitungen zu verzichten. Mal sehen, wie es sich anfühlt, die morgentlichen Informationen auf dem Tablett geliefert zu bekommen und wie sich dort Interessantes archivieren lässt.

Geld ist für viele Zeitungen inzwischen eine Existenzfrage  geworden. Die taz ist den Weg über die Genossenschaft gegangen und wird ihre gedruckte Ausgabe demnächst unter der Woche zugunsten der Online-Ausgabe aufgeben. Die DuMont-Gruppe denkt über den Verkauf des kompletten Zeitungsgeschäftes nach. Für die FAZ hingegen sieht die Finanzlage etwas besser aus, da sie auf eine Stiftung zurückgreifen kann.

Vielleicht brauchen wir aber auch ein ganz neues, übergreifendes Konzept, einen aufgebohrten „Rundfunkbeitrag“: Jede Bürgerin / jeder Bürger hat ein Budget, das sie / er in gewisser Stückelung auf Radiosender und Zeitungen verteilen kann. Denn ohne fundierte Informationen lässt sich in einer komplexen Welt kaum sinnvoll entscheiden. Nulltarif scheidet da aus – das muss uns etwas wert sein.

Verabschiedet sich Indien aus der Moderne?

Die Süddeutsche Zeitung brachte an diesem Freitag (11.1.19) auf der Titelseite die Meldung 24 Flugzeuge des Dämons und berichtete über eine aufschlussreiche Rede des indischen Premiers Modi auf dem 106. „Indian Science Congress”. Dieser Rede zufolge verfügte der Gott Ravanna – quasi schon immer – über 24 verschiedene Flugzeugtypen. Ebenso absurd der Vorschlag, die Gravitationswellen nicht mit Einstein oder Newton, sondern eben mit dem aktuellen Ministerpräsidenten Indiens zu verknüpfen und als Narendra-Modi-Wellen zu benennen.

Glücklicherweise blieben diese Vorschläge und Ausführungen nicht ohne Widerspruch von Seiten indischer Wissenschaftler. BBC berichtet ebenfalls über diesen Kongress.

Lob der Sechziger Jahre

für Stephan (*1960 †2018)

Während in den 50er Jahren – ich bin selbst in deren Mitte geboren – noch eine gewisse Piefigkeit und Enge vorherrschten, waren die 60er Jahre auf breiter Front ein Jahrzehnt der Erneuerung und eines großen Optimismus. Selbst die Kuba-Krise im Oktober 1962 konnte daran nichts ändern. Der drohende Atomkrieg wurde in letzter Minute verhindert. (Kriegen Sie auch Schweißausbrüche bei der Vorstellung, wie der aktuelle US-Präsident diese vermutlich eben nicht gemanaget hätte?)

Kinder & mehr

Dieser Optimismus war zum Beispiel daran sichtbar, dass die Hiesigen mit einer Unbekümmertheit Kinder kriegten, die seitdem nicht wieder erreicht wurde. Der Familiengründung wurde kein fünftes Whiskey Tasting oder die Flugreise auf die Malediven vorgezogen. Gleichzeitig war es aber zunehmend akzeptiert, dass Pille oder Kondom zur Familienplanung genutzt wurden. Frauen wurde endlich gestattet, ein eigenes Konto zu eröffnen (1962) oder erhielten die Geschäftsfähigkeit (1969) – aus heutiger Sicht kaum zu glaubende Anachronismen. Dass auch Mütter berufstätig wurden wie bei uns, half nicht nur das Haushaltseinkommen zu vergrößern, sondern tarierte auch die Partnerschaft besser aus.
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mayday – mayday … but no May day

Man fragt sich: Warum tut sich die Frau das an? Als Remainer die Aufgabe zu schultern, den von Boris Johnson, Nigel Farrage und Co losgetreteten Brexit in ausführbare Politik umzusetzen. Ein 6-stündiges Kabinettsmarathon durchzustehen und dann vor der Kamera eine Erklärung abzugeben, die den Bruch nur notdürftig überdeckt. Die Erfahrung zu machen, dass wichtige Mitarbeiter im halben Dutzend von der Fahne gehen. Und ständig im Nacken zu haben, das ein Misstrauensvotum oder Neuwahlen bevorstehen könnten.

Nein, Theresa May ist um ihren Job nicht zu beneiden. Auch die zur Schau gestellte Zuversicht (strong and stable in Endlosschleife) hatte die Wähler bei den vorgezogenen Wahlen nicht überzeugt. Und jetzt steht noch die vermutlich unlösbare Aufgabe bevor, das Brexit-Vertragswerk durch das Parlament zu boxen.

Die Alternative: ein unkontrollierter Brexit mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Verwerfungen. Die Pille, die noch das ganze UK schlucken muss, ist dabei noch gar nicht mitgerechnet: British Empire 2.0 wird es nicht geben. Bis Handelsverträge mit möglichen Partnern abgeschlossen werden könnten, werden Jahre ins Land gehen. Sollte Großbritannien auf Lohndumping setzen, werden die Arbeiter nicht mitspielen. Und die EU wird es nicht zulassen, dass ein unlauterer Wettbewerber vor ihrer Haustür startet.

Auch die Spannungen im eigenen Land (Nord-Irland, Schottland) tragen nicht dazu bei, dass in den nächsten Monaten ein himmlischer Frieden ausbrechen und May ruhig schlafen könnte. Es wäre nicht verwunderlich, wenn in einigen Jahren das ganze Vereinigte Königreich tatsächlich den Notruf mayday absetzen müsste. An May wird man sich dann ungefähr so lebhaft erinnern wie an Edward Heath oder John Mayor.

Pharrell Williams verbietet sich „Happy“

Der amerikanische Vollpfosten*, so herz- wie hirnlos, hatte nichts besseres zu tun, als am Tag des Attentats auf eine jüdische Synagoge in Pittsburgh mit 11 Toten das Lied „Happy“ auf einer Wahlkampfveranstaltung spielen zu lassen. Das Stück stammt von Pharrell Williams, der mir noch eher durch Get lucky, was mächtig in Beine und Ohren geht, bekannt war.

Pharrell hat – vertreten durch seinen Anwalt – mit deutlichen Worten sich einen derartigen Missbrauch seines Liedes unter solchen Umständen verbeten und Klage angedroht, die sich auf alle Songs von Pharrell bezieht.

On the day of the mass murder of 11 human beings at the hands of a deranged ‘nationalist,’ you played his [i.e. Pharrells] song ‘Happy’ to a crowd at a political event in Indiana […] There was nothing ‘happy’ about the tragedy inflicted upon our country on Saturday and no permission was granted for your use of this song for this purpose.

Danke, Pharrell

* Eigentlich liegt mir Unhöflichkeit fern. Wenn der mächtigste Mann der Erde wiederholt andere Leute nachäfft, sich über den Missbrauch von Frauen lustig macht oder ihn selbst betreibt und an die niedrigsten Gefühle seiner Wähler appelliert, hat er seinen Anspruch auf Höflichkeit verwirkt.

Dä Schnäuzer is fott – und braucht auch nicht mehr wieder zu kommen

im Abgang am schönsten…

Ein Gast, so kenne ich das, lädt sich nicht selbst ein und pöbelt auch vorher nicht rum (Deutschland praktiziere Nazi-Methoden hat Erdogan noch im März 2017 getönt). Heute nun hat er – einen Kilometer von hier – die Moschee an der Venloer Straße in Köln eingeweiht, die mal als Wegweiser für einen in die deutsche Gesellschaft integrierten Islam dienen sollte. Diese Vorstellung kann man abhaken, vor allen Dingen weil der Bauherr Ditib in den letzten Jahren durch polarisierende Maßnahmen (Bespitzelung von Gemeindemitgliedern durch Hocas, Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Leuten wie Schramma und Reker aus der Kölner Stadtgesellschaft…) auffiel.

Die Stadt zwischen Subbelrather Straße – Innenstadt – Vogelsanger Straße – Gürtel glich heute einer Belagerungszone und selbst die U-Bahn verkehrte teilweise nicht mehr. Diese Einschränkungen sind aber ein Klacks verglichen mit der Unfreiheit, die zum Beispiel die Presse oder die Oppositionsparteien in der Türkei hinnehmen müssen.

Was mich wirklich befremdete war, mit welcher Euphorie die Leute in der Nähe der Moschee standen, um Erdogan zuzujubeln. Ich fühlte mich ein wenig an die messianische Erwartungshaltung erinnert, die auch einem Hitler entgegen gebracht wurde. Dabei steht der Schnäuzer aktuell für eine Inflationsrate von 17 % (die natürlich Deutschtürken hier nur sehr indirekt fühlen)!

Ich wünsche mir, dass der Herr mit dem Schnäuzer bei allem Wohlwollen, was man Zuwanderern gegenüber üben kann, die nächsten 10 Jahre nicht mehr eingeladen wird. Wenn sich Menschen aus der türkischen Community so zu ihm hingezogen fühlen, dass sie seine Abwesenheit nicht verschmerzen, ist es ein leichtes, jeder Zeit in die Türkei zurückzufliegen. Türkischstämmige Kölner, die trotz aller Widerstände an einer Entwicklung einer Zivilgesellschaft in der Türkei arbeiten, besitzen hingegen meine volle Sympathie.

Ramadan 2018 beendet

Zuckerfest 2018 heißt erst einmal: Herzlichen Glückwunsch an die muslimische Community – Ramadan bei warmen bis heißen Temperaturen überstanden und Festtagsfreude an zwei oder drei Tagen.

Auch für Nicht-Muslime wie mich gibt es ein gewisses Aufatmen: keine grün-gesichtigen Schüler mehr, die sich gegenseitig zum Einhalten des Ramadans anhalten, die körperlichen Folgen aber nicht oder nur schwer verkraften und manchmal mit einer Riesenaggressivität bei Kleinigkeiten auffallen. Besonders das Trinkverbot über Tag erscheint mir angesichts der Temperaturen, die wir zwischenzeitlich hier in Köln hatten, als sehr unbarmherzig – dabei wird Gott / Allah doch als Allerbarmer angerufen.

Zwei Berichte aus dem Bekanntenkreis: zwei 14- bis 15jährige Jungen wollen zum ersten Mal mitfasten und die Mutter macht mit, um ihren Sohn zu unterstützen: Nach wenigen Tagen Zusammenbruch und Einlieferung ins Krankenhaus, wo Mutter und Sohn erst mal infundiert werden und von den Ärzten ausdrücklich verboten bekommen, am Fasten weiter teilzunehmen. Auch an der Schule meiner Tochter bricht nach einem Sportfest ein muslimischer Schüler mit Krämpfen zusammen und muss ins Krankenhaus eingeliefert werden. Trotz allem reagiert er sehr aggressiv. Vielleicht macht er andere dafür verantwortlich, dass er körperlich das Fasten nicht durchhalten konnte.

Beruhigend für mich, wenn im Christentum religiöse Gebote nicht in jedem Fall absolut gesetzt werden, wenn es am Beispiel des Sabbat-Gebotes heißt »Der Sabbat ist für den Menschen da, nicht der Mensch für den Sabbat.« (Mk 2,27) Vielleicht gibt es auch im Islam in Zukunft eine religiöse Auslegung mit theologischer Autorität, eine Fatwa (?), die angesichts veränderter klimatischer Bedingungen verhindert, dass sich Menschen mit religiös begründeten Lebensregeln gesundheitlich schaden.