Günter de Bruyn – Chronist und Erzähler verstorben

Bereits am 4. Oktober 2020 verstarb de Bruyn 93jährig. Mit ihm ist ein wahrlich uneitler und authentischer Chronist der deutschen Geschichte der letzten 80 Jahre verstorben. Seine autobiographischen Werke Zwischenbilanz. Eine Jugend in Berlin und 40 Jahre. Ein Lebensbericht können als sachlicher Kontrapunkt zum aktuellen Blockbuster „Berlin Babylon” gelesen werden. Allerdings nimmt de Bruyn den Blick eines homme de lettres, keines Kriminalisten ein. An scharfem Hingucken – auch was die eigenen Niederlagen und Unzulänglichkeiten betrifft – lässt es de Bruyn trotzdem nicht mangeln.

Das Werk

Einem größeren Publikum ist de Bruyn als Schriftsteller bekannt, der Romane und Erzählungen hervorgebracht hat. Dazu gehören Buridans Esel, Preisverleihung, Die neue Herrlichkeit und eine Jean-Paul-Biographie, um nur einige zu nennen. Vieles war mit Landschaft und Geschichte der näheren und weiteren Heimat verknüpft. In diesem Sinne war de Bruyn ausgesprochen bodenständig, aber keineswegs provinziell. Ein sehr schlichtes ländliches Ausweichquartier in der Lausitz war schließlich auch eine Fluchtburg,  wenn der Anpassungsdruck dem Nonkonformisten und Systemgegner de Bruyn in Berlin mal wieder zu stark zusetzte.

Vita…

Bleiben wir bei de Bruyns Biographie: Detailreich kann er zunächst darstellen, wie er als 1926 Geborener das Nazi-Reich noch bewusst als Flakhelfer und Soldat erlebt. Bedeutungsvolle Orte dieser Zeit sind Britz, Berlin Neukölln und Pommern. Weitere Stichworte hier im Stenogramm-Stil: De Bruyn stammt aus einer Auswandererfamilie, die während des 1. Weltkrieges zeitweise in Russland lebte. Die katholische Herkunft und Überzeugung bewirkte eine Immunisierung sowohl gegen die HJ als auch die FDJ. In den letzten Aufgeboten der Wehrmacht verheizt zu werden, verhindert seine schwache Gesundheit. Eine kurze Kriegsgefangenschaft schließt sich an und endet mit einem langwierigen Treck mit Sudeten-Deutschen aus Tschechien Richtung Westen.

Nach dem Krieg arbeitete de Bruyn einige Jahre als Aushilfslehrer, bis er durch eine Ausbildung als Bibliothekar seine Bücherliebe beruflich verwerten konnte. Gleichzeitig ermöglichte dieser Brotberuf, etwas Freiraum für seine schriftstellerischen Versuche zu erwerben. Schon früh war klar, dass de Bruyn sich dem erwarteten Druck, der SED beizutreten oder zumindest verbal still zu halten, nicht entsprechen wollte. Dieses Eintrittsbillet für eine wohlfeile Karriere entsprach ihm nun überhaupt nicht.

…und DDR

Die Reaktion auf dieses widerständige Verhalten ließ nicht auf sich warten. Buchveröffentlichungen wurden verhindert oder mit unzumutbaren Änderungslisten versehen. Einen Rückzugsraum, um bei wackeliger Gesundheit dem Alltagsdruck und den kleinen Tritten gegen das Schienenbein zu entkommen, fand de Bruyn schließlich auf einer seiner zahlreichen Exkursionen auf’s Land. Es war eine heruntergekommene Mühle in der Lausitz, die er mit viel Einsatz wieder bewohnbar machte. Zu einer saukomischen Schilderung gerät, wie er auszog, in der ländlichen Umgebung – Karl May stand Pate – ein Pferd zu halten. Weil er dem Verkaufsdruck des Bauern nicht gewachsen ist, kommt er noch dieser Unternehmung nicht mit einem, sondern mit drei Pferden zurück. Die Pferde, alles andere als handzahm, führen den verhinderten Bauern in jeder Hinsicht vor. De Bruyn beschreibt von sich, wie froh er war, die Pferde vor Einbruch des Winters – wenn auch mit finanziellem Verlust – wieder loszuwerden.

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