Tag des offenen Denkmals: Jüdischer Friedhof in Deutz

Nach und trotz der Shoah zeigen jüdische Friedhöfe, wie lange schon Juden in Deutschland lebten und leben. Köln besitzt auf seinem heutigen Stadtgebiet sieben jüdische Friedhöfe. Gestern war es im Rahmen des Tags des offenen Denkmals möglich, den großen Deutzer Friedhof besuchen zu können. Davon habe ich gerne Gebrauch gemacht. Esther Bugaeva von der Synagogengemeinde Köln gab eine kundige und charmante Führung über diesen Friedhof, der normaler Weise nicht zugänglich ist. Seinen Ursprung hatte der Friedhof im ausgehenden 17. Jahrhundert, als der erste Kölner Judenfriedhof in Raderthal („Zum toten Jüt”) geschlossen wurde und jüdische Bürger sich außerhalb von Köln (Deutz war noch eigenständig!) eine neue Begräbnisstätte suchen mussten. Die ältesten der mehr als 5.000 Gräber fallen daher in die Zeit von 1695. Trotz des beachtlichen Alters lassen sich auch heute noch manche Familiensymbole entziffern: Grabstätten von Angehörigen der Priester-Familie Cohen sind an den gespreizten segnenden Hände, die der Famlie Levi an einem Krug-Symbol zu erkennen.

Im übrigen spiegelt dieser Friedhof die wechselvolle Geschichte der jüdischen Gemeinden im Rheinland: Für die erste Zeit überwiegen jüdische Grabinschriften. Da anfangs Handwerke den Juden verboten waren, haben die nicht-jüdischen Steinmetze manches hebräische Schriftzeichen verhunzt. Nach Napoleon beginnt die Zeit der Emanzipation der Juden im Rheinland: Grabmäler zeigen jüdische und deutsche Inschriften – besonders prachtvoll als Beispiel dieser Zeit ist das Grabmal der Theresa Oppenheim. Bis zur Shoah nimmt der Anteil der deutschen Inschriften im Vergleich zu den jüdischen Schriftzeichen weiter zu.

Kulturgeschichtlich besonders interessant sind – ebenfalls in Deutz zu finden – die Grabmäler von Moses Hess, einflussreich für Karl Marx, aber auch den späteren Zionismus, Isaak Offenbach (Vater von Jacques Offenbach) und ein besonderer Bereich für Angehörige der Familie Oppenheim, die Köln besonders zugetan war.

Ein Besuch des Friedhofs lohnt in jedem Fall (bin eigentlich eher kein Friedhofsgänger). Besuchstermine außerhalb spezieller Anlässe finden sich auf der Seite der Synagogengemeinde Köln. Männer sollten an eine Kopfbedeckung denken.

Jüdische Friedhöfe auf Kölner Stadtgebiet

JF Raderthal – „Zum toten Jüt” – in der Nazi-Zeit aufgehoben

JF Deutz – Judenkirchhofsweg / Köln-Deutz // zwischen 1698 und 1941 genutzt

JF Köln-Mülheim – am Springborn – Nähe Neurather Ring // zwischen 1774 und 1942 genutzt

JF Köln-Ehrenfeld / Teil des Melatenfriedhofs // zwischen 1899 und 1918 genutzt

JF Köln-Deckstein / Adass Jeschurun // zwischen 1910 und 1945 (?) genutzt

JF Köln-Böcklemünd / Venloer Straße // ab 1918, noch heute genutzt

JF Köln-Zündorf // zwischen 1923 und 1942 genutzt

Lenz – vom Wert der Pausen

Peter PankninEinen 30seitigen Text, bekannt als Büchners Lenz-Fragment, ohne Netz und doppelten Boden auf die Bühne zu bringen, verlangt nicht nur dem Publikum einiges an Konzentration ab. Er ist erst recht für den Aufführenden Schwerstarbeit – die sich aber nicht so anfühlen darf.

Christian Wirmer hat gestern an einem besonderen Ort, dem Kölner Baptisterium, vor ungefähr 40 Zuschauerinnen und Zuschauern diesen Parforceritt gewagt und viel verdienten Applaus geernet. Der Hintergrund dieses Stückes ist schnell erzählt: Der namengebende Sturm und Drang-Dichter J. M. R. Lenz kommt zu Beginn des Jahres 1778 zum Elsässer Pfarrer Oberlin und findet bei ihm in einer existenziellen Krise Unterschlupf. Hinter ihm liegt eine nicht erwiderte Liebschaft zu Friederike Brion – auch Goethe hatte um sie geworben – und Schwärmerei für die Goethe-Schwester Cornelia Schlosser. Auch der durch eine Eseley verursachte Rauswurf aus Weimar durch eben diesen Goethe, ihm war Lenz dorthin gefolgt, muss Lenz enorm gekränkt und im Mark getroffen haben. (mehr dazu unten)

Büchner, selbst eine tragische Figur der deutschen Literatur, hat aus einem von Oberlin verfassten Bericht und Bemerkungen in Goethes Autobiographie Dichtung und Wahrheit einen enorm dichten Text verfasst. Dieser beschreibt immer wieder die Empfindungen, die der psychotische Lenz beim Wandern im Gebirg’ erlebt, in eindrucksvollen und beklemmenden Bildern.

Am Himmel zogen graue Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so träg, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nicht’s am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopf gehn konnte.

Auch die Versuche, an den Alltag der Menschen um Oberlin herum Anschluss zu finden, sind von Büchner anrührend gestaltet. Sie gipfeln im Versuch von Lenz, ein kleines Mädchen in der Nachbarschaft vom Tode zu erwecken. Ein Unternehmen, das scheitern muss, und damit neue Verzweiflung erzeugt. Diese Unternehmung zeigt aber womöglich auch den gewagten Genie-Anspruch der Sturm und Drang-Dichter, der an der Wirklichkeit zerbrechen musste.

Wirmer gelang es gestern, diesen Text mit spärlich gesetzten Dramatisierungen und diesen klug gliedernden Pausen so zu vergegenwärtigen, dass alle bis zum Ende durchhielten. Dem Sog dieser Aufführung konnte sich offenbar niemand entziehen. Lang anhaltender Beifall und eine kurze Gelegenheit, das Erlebte zur Sprache zu bringen, rundeten den Abend ab. Für mich das beste an Theaterstücken, was ich in den letzten Jahren gesehen habe. Hut ab vor Christian Wirmer…

Dank auch an die Veranstalter Katholisches Bildungswerk, Melanchthon-Akademie und Domhütte, die mit Veranstaltungen im Baptisterium diesen besonderen Ort in den Köpfen der Kölnerinnen und Kölner verankern wollen.

J.M.R. Lenz – wenn Freiheitsideale und gesellschaftliche Wirklichkeit unvereinbar sind

„Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.“ (Gotthold Ephraim Lessing) – Mit diesem Satz aus der Emilia Galotti lässt sich treffend der überindividuelle Anteil an der Psychose von J. M. R. Lenz beschreiben. Gegen den Widerstand des Vaters hatte er 1771 sein Theologiestudium in Königsberg aufgegeben und war einem Brüderpaar von Kleist nach Straßburg gefolgt. Die Abhängigkeit eines Hofmeisters, als der Lenz den beiden gefolgt war, kann man sich kaum groß genug vorstellen. (Sie hat ihren Niederschlag übrigens auch in seinem gleichnamigen Theaterstück gefunden.) In Straßburg lernt Lenz Goethe kennen, der Fixstern, Nebenbuhler und Gegner für Lenz wird. Zunächst überwiegt aber noch die Harmonie: Im Sesenheimer Liederbuch, der von beiden geliebten Friederike Brion gewidmet, finden sich Gedichte beider und Literaturwissenschaftler späterer Generationen hatten Schwierigkeiten, wem welches Gedicht zuzuordnen ist. Goethe geht dann den pragmatischen Weg nach Weimar, wo er als Geheimer Rat und Schriftsteller reüssiert. Lenz, von diesem Modell angezogen, versucht sich auf dem gleichen Weg. Goethe lädt ihn im März 1776 nach Weimar ein, sorgt aber im Dezember des gleichen Jahres für die Ausweisung des früheren Freundes. Lenz hatte vermutlich ein Pasquille, ein Schmähgedicht, in Umlauf gebracht, das die noch ungesicherte Stellung Goethes am Hof bedrohte. Es folgen für Lenz Monate der Unsicherheit und manifester Krankheits- und Angstzustände in Deutschland, in der Schweiz und schließlich bei Oberlin im Elsaß. Der prekäre Aufenthalt in Deutschland endet 1779, als ihn ein Bruder abholt und ins ungeliebte Heimatland Lettland zurückbringt. Versuche, dort, in St. Petersburg oder in Moskau nicht nur beruflich neuen Boden unter die Füße zu bekommen, scheitern. Im Juni 1792 wird Lenz tot auf einer Moskauer Straße aufgefunden. Er wird zur tragischen Leitfigur einer Sturm und Drang-Bewegung, die sich das individuelle Fortkommen und die eigene Entfaltung auf die Fahnen geschrieben hatte. Sie scheiterte aber im Angesicht der festgefügten autoritären und einschränkenden Bedingungen der europäischen Gesellschaft des ausgehenden 18. Jahrhunderts.

Mehr zum Thema: Lenz’ Krankheit – eine Seminararbeit von mir

Noch ein inhabergeführtes Fachgeschäft weg – dieses Mal Tonger

Ich hatte immer schon einen Packen Gitarrensaiten mehr gekauft, als ich eigentlich brauchte. Hat aber nichts genutzt. Nachdem Tonger schon verschiedentlich sein Quartier gewechselt hat (Am Hof, Nähe Dom – Nord-Süd-Fahrt – zum Schluss in der Zeughausstraße) scheint nun nach 197 Jahren Schicht im Schacht zu sein.

Sehr schade: Musicstore draußen in Kalk ist echt weit weg und hat den Charme einer Bahnhofsvorhalle. Die Geiz-ist-geil-Mentalität ist sehr kurzsichtig und wird den Leuten, die ein Instrument auch mal in die Hand nehmen wollen, das Stöbern, Sichten und Probieren nicht mehr lange möglich machen. Support your local dealer kann ich nur neudeutsch sagen.