Musikalische Erinnerung retten: Kassetten digitalisieren

Viele, die wie ich in den 70ern und 80ern ihren Liebsten, Freunden und sich selbst Musikzusammenstellungen auf Kassette kreiierten, stehen jetzt erst mal vor einem Haufen Müll. Das letzte Kassettendeck in der Stereoanlage hat bei mir seinen Geist bereits aufgegeben. (Leider war es mir auch nicht gelungen, die ausgeleierten Antriebsriemen zu ersetzen.)

Seit gestern naht aber die Rettung: Eine Mini-Soundkarte am Mac und ein im Fundus vorhandener Walkman erlauben nun die Digitalisierung zu mp3- oder m4a-Dateien. Das wird dann eine andere journey through the past, wenn die Kassetten der verstorbenen Geschwister oder mein eigener musikalischer Geschmack in den Studentenjahren wieder lebendig werden.

Ein Nachteil ließe sich bei diesem Digitalisieren nur mit viel Arbeitsaufwand vermeiden: Die Tracks von 30 bis 45 Minuten pro Bandseite müssten manuell in einzelne Musikstücke zerlegt werden. So viel Zeit hat aber nicht mal ein Rentner… So lausche ich dann Bitches Brew an einem Stück oder muss zwischendurch im Abspielprogramm vor- oder zurücksetzen.

Noch eine Stufe tiefer in der Vergegenwärtigung der Vergangenheit wäre es übrigens, die alten Tonbänder zu reanimieren. Die müsste ich dann aber erst mal finden…

Walkman – Musik unterwegs genießen. SONY – damals die angesagte Firma für gadgets – wie man heute sagen würde – konnte von Beginn der 80er Jahre bis zum Ende der Geräteklasse 335 Millionen Walkmans verkaufen. Das Gerät war relativ robust und die Kassetten leicht zu handhaben. Überwiegend wurde die Musik oder Audiobooks per Kopfhörer genossen. Viele Radios in Autos besaßen ebenfalls ein Kassettenabspielgerät und erlaubten, auch dort die gerade aktuelle Musik zu hören. Die Kombination von leicht transportablem Abspielgerät und Kopfhörer stand Pate, als dann verschiedene elektronische Speicher im iPod, iPhone oder anderen derartigen Geräten die mechanisch nicht immer robusten Kassetten (Bandsalat!) verdrängten. Musik konnte damit noch leichter in jeden Winkel der Welt getragen werden. 

„music is the perfect art of understanding” – auf einer Überfahrt

Hardy Biermann Rhythmus

Wir schrieben das Jahr 1984 und die gewöhnliche Art nach Irland zu reisen, war die Fähre und kein Flugzeug wie heute. Im mütterlichen Kleinwagen befanden wir uns auf unserer ersten gemeinsamen Urlaubsreise ins Irland-Eldorado und nach beschwerlicher Anfahrt bis Le Havre konnten wir endlich auf der Fähre – Fahrtziel Rosselare – innerlich abspannen.

Als auf der 16stündigen Überfahrt die Nacht einbrach, machten wir es wie die Anderen: Die Disco im Boot war – nachdem der reguläre Disco-Betrieb beendet war –  für die, die es wünschten, zum Übernachten frei gegeben worden. Sicher 30 bis 40 Leute lagerten sich in Schlafsäcken wie wir auf dem grün-gräulichen Teppichboden, wir suchten uns irgendwo eine Ecke zum Lagern.

Es war noch keine Stunde vergangen, als plötzlich in den improvisierten Schlafsaal ein ungefähr 60jähriger Ire einbrach, der uns mit allen möglichen Sprüchen beschimpfte. I show you what hell is… war etwas, das sogar ich mit meinem schlechten Englisch verstand, das Meiste rauschte an mir vorbei. Die Leute um uns rum versuchten mit einer Mischung aus Belustigung und Ärger, den Alten zur Ruhe zu bringen – keine Chance angesichts dieser Suada. Der ganze Auftritt mochte vielleicht fünf Minuten gedauert haben, als sich die kaum nachvollziehbare Erregung des Alten legte und er noch diesen denkwürdigen Satz raushaute: music is the perfect art of understanding. Wenn mich nicht alles täuscht, gibt es von Thomas Mann einen ähnlichen Gedanken.

Der nächste Morgen fand den nächtlichen Ruhestörer im Sonnenschein auf Deck sitzend, ein Glas Guiness vor sich, die Fiddle gegen die Schulter gedrückt und mit großer Selbstverständlichkeit und einigen Mitspielern Irisches spielend. Ich schätze, keiner von denen, die der Alte nachts geweckt hatte, konnte ihm in irgendeiner Weise böse sein, alle schienen es zu genießen. Wie war sein Spruch gewesen?  Music is the perfect art of understanding. Wohl wahr…