Wiglaf Droste – Meister des Schafotts und des Floretts ist tot

In Zeiten, als ich noch die taz las, kamen seine Kurztexte – selten länger als 2 Buchseiten – regelmäßig ins Haus: sprachmächtige Kunststückchen, die an Polemik nicht sparten, manchmal aber auch ins Menschenverachtende umschlugen („Der Barbier von Bebra?). Dabei hatte er auch sinnlich-sanftere Seiten zu bieten, wenn er sich beispielsweise über die Kastanie in fast kindlicher Freude und mit liebevoll ausgeheckten Neologismen ausließ:

Anfangs hat man Mühe, ein paar gescheite Handvoll Kastanien zu finden, jetzt schöpft man aus dem Vollen: lauter Kastanien, und alles meine!
Wenn das Auge seinen Spaß gehabt hat, kommt das Haptische zu seinem Recht: befummeln, ja, ja, ja! Man nimmt die ungleich großen Bollern und dreht sie, prähistorische Meditationskugeln, mal gnubbelig, mal abgeplattet…

Laut schallend lachen musste ich, als ich eine Charakterisierung von Claudia Roth (für die Nachgeborenen: ehemalige Rio Reiser-Managerin und häufig zum Theatralischen neigende Grünen-Politikerin mit diskutabler Gewandung) erneut las:

Die Bayreuther Wagner-Festspiele besuchte sie in so heillos aufgemaschelter Garderobe, dass im Umkreis von 30 Kilometern die Blindenhunde knurrten.

Auch musikalisch kam ich mit ihm überein: Johnny Cash („American Recordings“, dazu sein Text „The Beast in me“) und  Van Morrisson stehen  bei mir ganz oben im Musikregal.

Streicht man die Stücke raus, die deutlich unter die Gürtellinie gingen, in denen Droste offensichtlich Probleme mit der Selbstregulation hatte, oder platte Feindbilder bedienten, kann ich mir vorstellen, einzelne Texte von ihm auch in künftigen Lesebüchern vertreten zu sehen.

Wie ich dann doch kein zweiter Michael Jackson wurde

links eine leichte Einbuße im Hören höherer Frequenzen

Nein, keine besonderen Tanzschritte oder ein herausragendes musikalisches Talent bringen mich in die Nähe von Michael Jackson, sondern eine Vielzahl von – nennen wir es mal so – körperlichen Umbauten: mit 12 die Mandeln entfernt zu bekommen, war ja noch Routine, ebenso wie die Kronen auf Backenzähnen. Aber wer trägt schon ein Gazenetz unter der Bauchdecke, hat keine Gallenblase mehr oder hat sich die Kurzsichtigkeit durch einen Laserhobel entfernen oder die Krampfadern ebenfalls per Laser veröden lassen? Dazu kommen noch ein ein halbes Dutzend weiterer OPs, mit denen ich hier nicht langweilen möchte.

Gestern fiel dann aber die Entscheidung, auf elektronische Öhrchen alias AudeoB90-10-Grundgeräte im Wert von immerhin 5.767 € zu verzichten – jetzt war Schluss mit den körperlichen Selbstoptimierung à la Michael Jackson. Es gibt dazu einen gesundheitliches und dazu ein grundsätzlichen Argument: In der Familie gab es den running gag, mir meine tatsächliche oder nur so empfundene Schwerhörigkeit immer mal wieder unter die Nase zu reiben. Auch in der Schule stehe ich schon mal auf dem Schlauch, wenn zwei Schüler mit mir gleichzeitig reden wollen und ich – dann wirklich – nur Bahnhof verstehe. In beiden Fällen hat aber das teure Gerät keinerlei Fortschritt gebracht: Weder in der Tischrunde noch in der Klasse gab es nennenswerte Vorteile mit den Öhrchen. Schön war es allerdings, im Sauerland die Vögel noch vielfältiger zwitschern zu hören oder klassische Musik differenzierter wahrzunehmen.

Meine Frage an den Akustiker, ob es denn keine Refurbished-Öhrchen zu einem günstigeren Preis gäbe, wurde so beantwortet. Die Heilmittelverordnung sehe leider nicht vor, dass diese durch Seriennummern identifizierbaren Geräte jemals wem anders verkauft werden dürften als dem ursprünglichen Käufer. (Werden jetzt die teuren Öhrchen die Halde des Elektronikschrotts vergrößern, wäre zu fragen?) Es verhält sich dabei wie mit der Pillenpackung, die beim Apotheker über die Theke wandert: Sobald sie eingesteckt wird, ist kein Umtausch oder eine Rückgabe mehr möglich, auch wenn nichts geöffnet wurde.

Deutschland erlaubt sich hier einen unbegreiflichen Luxus: Statt Marktmechanismen für einen Kostendruck auf der Angebotsseite sorgen zu lassen und Leute mit niedrigeren Gesundheitskosten zu beglücken, schottet man Märkte mit sachfremden Gründen ab und pflegt Pillendreher und Gesundheitsdienstleister. Wäre an der Zeit, hier gesetzliche Altertümer abzuschaffen!