Der Jesuit Felix Körner war vergangenen Mittwoch (24.3.21) bei der Katholischen Akademie in Berlin eingeladen, um sein Buch „Politische Religion – Theologie der Weltgestaltung: Christentum und Islam” vorzustellen. In einem fesselnden Gespräch mit Akademie-Leiter Hake konnte Körner nicht auf alle 7 Hauptkapitel gleichermaßen (1 Kultur, 2 Identität, 3 Gewalt, 4 Relativierung, 5 Schwäche, 6 Inspiration, 7 Anerkennung) innerhalb einer Stunde eingehen, verstand es aber trotzdem, wichtige Grundsätze von Christentum und Islam unter dem Blickwinkel „Politische Religion/Theologie” zu entfalten. Der Jesuit Körner, ein ausgewiesener Islam-Experte, war übrigens vor kurzem noch selbst in Berlin als Fellow am Wissenschaftskolleg und ist aktuell Professor für Dogmatik an der Gregoriana in Rom.
Welches Verständnis hat nun Körner von politischer Religion oder Theologie, die immer mal wieder auch unter einem Vorbehalt stand? Diese war z.B. in der Spätantike verdächtigt worden, einfach nur den Bestand der polis garantieren zu wollen. In den 70er und 80er Jahren hingegen musste sich eine gesellschaftskritisch verstehende Theologie z.B. eines J. B. Metz mit dem Vorwurf auseinandersetzen, den Glauben zugunsten der bloßen Hoffnung aufzugeben.
Schon im Buchtitel enthalten ist zunächst eine fundamentale Gemeinsamkeit, die Christentum und Islam teilen. Diese besteht in dem Anspruch, nicht nur die individuelle Frömmigkeit der Gläubigen fördern zu wollen, sondern die Welt insgesamt zu gestalten. Dass dies in einer pluralen Welt nicht mit einem Monopolanspruch geschehen kann, ist für Körner selbstverständlich. Seine Ausführungen umkreisen im einzelnen eine Fülle von Fragestellungen: Wie lässt sich die Tradition der Religion aneignen einschließlich deren außer-rationale Inhalte (z.B. Liturgie), ohne in einen entfremdenden und fremdbestimmten Prozess einzutreten? Wie lässt sich ausschließen, dass Religion zur Ausübung von Herrschaft und Gewalt missbraucht wird? Wie lässt sich Religion verwenden, um diese als Inspiration zu erfahren und mit ihr als Konzept im Konzert der anderen Stimmen einer pluralen Gesellschaft selbstbewusst, aber ohne Dominanzstreben aufzutreten? Wie kann die christliche Idee vom Reich Gottes so in der Außenwelt erfahrbar werden, dass sie mehr als die eigene Person umgestaltet?
Dass solche gewichtigen Fragen den Zeithorizont von einer Stunde übersteigen, dürfte einleuchten. Trotzdem gelang es Felix Körner und dem Akademieleiter Joachim Hake Inhalte des Buches so ins Gespräch zu bringen, dass der nächste Schritt eigentlich nur noch die Lektüre des Buches selbst sein kann.
Hier soll zum Schluss nur noch auf das letzte Kapitel von Körners Buch hingewiesen werden, das den Titel „Religion als Anerkennung des anderen“ trägt. Gerade mit dem letzten Gedanken zeigt Körner Alternativen auf zu den Identitätsfixierten von links und rechts. Seiner Auffassung zu Folge ist es jeder und jedem aufgegeben, in eine Bewegung auf das Andere schlechthin (das Gott heißen kann) einzutreten. Im nächsten Schritt kann dieser Vorgang dann noch anders personal gewendet, auf das menschliche Gegenüber. Wie wohltuend ist solch’ ein Denken in einer Gesellschaft, in der viele vor Ich-Bezogenenheit nur noch um sich selbst kreisen.
Schön, dass es gerade jetzt im Lockdown interessante Angebote wie die der Katholischen Akademie in Berlin gibt, die katholische Vertreter auf der Höhe des wissenschaftlichen Diskurses und zudem mit den spannenderen Antworten auf die Fragen der Zeit ausgestattet zeigt als die Woelkis dieser Welt. Herzlichen Dank an Felix Körner, für die gelungene Gesprächsführung an den Leiter der Akademie, Joachim Hake!Das Buch Körners liegt in Englisch und auf Deutsch vor. Für die deutsche Ausgabe im Herder-Verlag (F. Körner, Politische Religion – Theologie der Weltgestaltung: Christentum und Islam) gibt es das Inhaltsverzeichnis und die ersten Seiten zur Ansicht im Netz.
Die vermutlich kürzeste Zusammenfassung seines Buches ist dem Autor selbst zu verdanken:
«Auszugehen ist von der Auffassung, dass Religion eine nicht gewählte, sondern die so nun einmal vorhandene Umgebung ist: Religion als Kultur (Kapitel 1). Deren Gegenmodell ist die Verheißung, dass Menschen erst mittels einer Glaubensentscheidung zu sich kommen: Religion als Stiftung einer neuen Identität (Kapitel 2). Als selbstverständlich vorgegeben oder entschiedenermaßen angenommen sind Religionen in der Menschheitsgeschichte dann auch regelmäßig Begründung für politische Ordnung gewesen, für die Macht des Rechts, allerdings auch des Unrechts: Religion als Legitimation von Herrschaft und Gewalt (Kapitel 3). Hiergegen weisen nun aber viele Religionen ein prophetisch kritisches Element auf, das die bestehenden Herrschaftsverhältnisse in Frage stellt, auch die Religionsmissbräuche: Religion als Relativierung und Kritik menschlicher Macht (Kapitel 4). Neben die Frage der Macht tritt in Religionen vielfach die Problematik der Ohnmacht: Religion kann dem Nichtbegreifen, dem Scheitern, dem Vergessenen und Verdrängten, dem Unerfüllten Raum geben und wird so auch zur Stimme der Benachteiligten: Religion als Vergegenwärtigung von Schwäche (Kapitel 5). Wird sich aber eine Religion ihrer eigenen Schwäche bewusst, als Zumutung, Herausforderung und umstrittene Bezeugung, wird sie in der Öffentlichkeit nicht mehr geschlossene Gefolgschaft einklagen, sondern mit Widerspruch rechnen, auf Glaubwürdigkeit setzen und so auch denen zur Anregung, die sich ihr nicht mit wehenden Fahnen und Mitgliederausweis anschließen: Religion als Inspiration in einer pluralen Gesellschaft (Kapitel 6). So lässt sich Religion schließlich auf einen neuen Begriff bringen, der die bisher untersuchten religiösen Gegenwartsformen in ein gemeinsames Licht stellt: Religion als Anerkennung des anderen (Kapitel 7).»