Dylan & ich

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Große Schwestern können manchmal nerven, sind aber auch für allerhand Anregungen gut. Musikalisch hat meine älteste Schwester nicht nur Pentangle, Blood, Sweat & Tears, sondern auch Robert Zimmermann aka Bob Dylan in die Familie eingeführt. Herzlichen Dank dafür!

Drei Platten von Dylan haben über die ohnehin vorhandene jahrzehntelange Langzeitwirkung hinaus bei mir besonderen Eindruck hinterlassen. Dabei war es bei „The times they are a-changin’“ gar nicht die Musik, die bei mir besonders nachhaltig wirkte, es war das Plattencover: Dylan hielt für mich in ihm den Kopf skeptisch-zweifelnd schief. Das war fortan für mich stilbildend: Auch ich wollte als so ein skeptischer Zeitgenosse wirken und hielt deswegen den Kopf genauso schief. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur sagen, dass ich zarte zwölf bis vierzehn Jahre war.

Das zweite Album klang alleine schon von seinem Titel her geheimnisvoll: Subterranean Homesick Blues. Dort hatte es mir vor allem der Titel „It’s All Over Now, Baby Blue“ angetan. Ein Satz wie „forget the dead you left / They will not follow you“ entsprachen meinem Impuls, mich von Familie – in der der Erzählfaden über Tote schwer wog – zu distanzieren und neue Wege zu gehen.
Ganz anders dann die Platte „Planet Waves“. Dylan wirkte für mich hier geradezu fröhlich wie auf eröffnenden „On a night like this“, wozu auch das Akkordeon und der von ihm ausgehende Drive gehörte. „Forever young“ gleich in zwei Versionen war ein Sehnsuchtsding, an das ich zumindest in Reimform gerne glauben mochte. Und war der „Wedding Song“ musikalisch für mich auch nicht erste Sahne, fand ich doch den Satz „And if there is eternity I’d love you there again“ so gut, dass ich ihn in einige Glückwunschkarten für Hochzeiten schrieb.

Belcanto? – Nein Danke
Ein Musikkritiker im Time Magazine schrieb mal zu Dylans Stimme, sie klänge „as if it was drifting over the walls of a tuberculosis sanatorium“. Nun hatte das Thema Tuberkulose für unsere Familie – ganz ohne Flachs – einen unerfreulichen Klang. Allgemein war damit aber bezogen auf Dylan ganz passend das Unschöne, zum Teil sogar Nervende an der Art beschrieben, wie er viele Songs vortrug: Offensichtlich ging es hier nicht darum, über eine liebliche, leidenschaftliche oder sonstwie emotionale Vortragsweise den Hörer zu gewinnen, sondern alleine den Text in den Vordergrund zu stellen. Das ermutigte indirekt jeden, sich selbst aufzumachen und ebenfalls zu singen, auch wenn dafür kein Schönheitstitel zu erwerben war. Auch in diesem Punkt war Dylan für mich stilbildend: Ich hatte folglich keine Hemmungen, mit mindestens halb so krächziger Stimme wie Dylan Desolation Row oder The times they are a-changin’ zu singen.

Kommunikationsspielchen? – „it ain’t me, babe“
Ist es in einer Welt der Kommunikationsspiele, die Spontaneïtät fast immer zu kurz kommen lässt, nicht kurz vor genial, dass Dylan vielen Versuchen immer wieder ausgewichen ist, die von ihm erwarteten Antworten zu produzieren?! Vor Jahren wurde Dylan gefragt, worum es in seinen Songs ging. Hier die starke Antwort:

Interviewer: “Mr Dylan, what are your songs about?”
Dylan: “Some of my songs are about four minutes, some are about five, and some, believe it or not, are about 11 or 12.“

Daher hat die bis heute durchgehaltene Schweigsamkeit Dylans gegenüber dem Norwegischen Nobelpreis-Komitee meinen Respekt. Er hat sich eben nicht artig bedankt, sondern vielleicht lieber seine Katze gefüttert oder neue Lieder gemacht. Dafür wird er anerkannt, von manchen vielleicht  sogar geliebt – was irgendwelche Nobelpreis-Fuzzys auf der Tagesordnung haben, ist ihm offensichtlich eher Schnuppe. Schauen wir mal, was der inzwischen alte Knabe sonst noch so für uns bereit hält…