mayday – mayday … but no May day

Man fragt sich: Warum tut sich die Frau das an? Als Remainer die Aufgabe zu schultern, den von Boris Johnson, Nigel Farrage und Co losgetreteten Brexit in ausführbare Politik umzusetzen. Ein 6-stündiges Kabinettsmarathon durchzustehen und dann vor der Kamera eine Erklärung abzugeben, die den Bruch nur notdürftig überdeckt. Die Erfahrung zu machen, dass wichtige Mitarbeiter im halben Dutzend von der Fahne gehen. Und ständig im Nacken zu haben, das ein Misstrauensvotum oder Neuwahlen bevorstehen könnten.

Nein, Theresa May ist um ihren Job nicht zu beneiden. Auch die zur Schau gestellte Zuversicht (strong and stable in Endlosschleife) hatte die Wähler bei den vorgezogenen Wahlen nicht überzeugt. Und jetzt steht noch die vermutlich unlösbare Aufgabe bevor, das Brexit-Vertragswerk durch das Parlament zu boxen.

Die Alternative: ein unkontrollierter Brexit mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Verwerfungen. Die Pille, die noch das ganze UK schlucken muss, ist dabei noch gar nicht mitgerechnet: British Empire 2.0 wird es nicht geben. Bis Handelsverträge mit möglichen Partnern abgeschlossen werden könnten, werden Jahre ins Land gehen. Sollte Großbritannien auf Lohndumping setzen, werden die Arbeiter nicht mitspielen. Und die EU wird es nicht zulassen, dass ein unlauterer Wettbewerber vor ihrer Haustür startet.

Auch die Spannungen im eigenen Land (Nord-Irland, Schottland) tragen nicht dazu bei, dass in den nächsten Monaten ein himmlischer Frieden ausbrechen und May ruhig schlafen könnte. Es wäre nicht verwunderlich, wenn in einigen Jahren das ganze Vereinigte Königreich tatsächlich den Notruf mayday absetzen müsste. An May wird man sich dann ungefähr so lebhaft erinnern wie an Edward Heath oder John Mayor.

Von facebook zu fratzebook

Mein ehemaliger Kollege Jörg sprach scherzhaft von fatzebook, wenn es um den amerikanischen Social Media-Koloss ging. Inzwischen liegt es nahe, von fratzebook zu sprechen angesichts der vermittels dieses Portals vorgenommenen Manipulationen. Diese betreffen zwei Vorgänge, die sich überwiegend im Jahr 2016 ereignet haben: die Brexit-Entscheidung im Juni und die US-Präsidentenwahl im November, beides Mal begleitet von Kampagnen, denen man kaum das Attribut Informations-Kampagne geben kann. facebook hat auf beide Vorgänge in doppelter Weise eingegriffen: Einmal, indem es überhaupt den Rahmen schuf, indem die abgestimmte Werbung für Nutzer der Social Media-Plattform plaziert werden konnte. Zum anderen, indem es Analysefirmen gestattete, mit in facebook gewonnenen Daten solche Profildaten von Nutzern zu gewinnen, ohne die die zielgenaue Werbung nicht hätte erzeugt werden können. (Im Englischen wird für diese Art von Werbung der Begriff targeting verwendet.*)

• Die Zahlenlüge

Zuckerberg machte es, als die Vorwürfe gegen seine Firma immer gravierender wurden und er persönlich vor den amerikanischen Kongress und das englische Parlament zitiert wurde, auch nur so, wie Politiker abwiegeln und bagatellisieren würden: Nur das zugeben, was sich gar nicht mehr bestreiten lässt. Eine Unwahrheit musste trotzdem ziemlich schnell bei dieser publizistischen Auseinandersetzung korrigiert werden: Der Firma Camebridge Analytica wurde gestattet, nicht nur auf die bei Facebook hinterlegten Daten einer als Quiz getarnten Umfrage unter 53 Millionen Nutzern zuzugreifen – hier hätte man noch eine gewisse Freiwilligkeit und Einwilligung der Betroffenen unterstellen können – sondern es waren auf einmal 87 Millionen. Wie das? Facebook hatte gestattet, dass über den Kreis der Befragten hinaus auch die Adressbücher der ?Quiz?-Teilnehmer ausgelesen und ausgewertet werden konnten. Keiner von diesen zusätzlichen 34 Millionen facebook-Nutzern konnte in irgendeiner Weise damit rechnen, in dieser Form benutzt zu werden.

• Beeinflussung des Referendums um einen möglichen Brexit im Juni 2016

Gerade bei Entscheidungen, deren Ausgang als schwer vorhersehbar bewertet wird und in denen sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnet, kann – wie hinterher stolz verkündet wurde – eine mittels targeting unterstützte Kampagne den entscheidenden Vorteil bringen: Cummings, Leiter von Vote Leave sagte rückblickend auf den für ihn erfolgreichen Brexit-Ausgang zu der Rolle von AIQ (AggregateIQ): ?We couldn’t have done it without them.? Als entscheidend erwies sich nach Ansicht des Guardian , dass Cummings fast sein gesamtes Werbe-Budget von Vote Leave darauf verwendete, genau die 600.000 Wähler mit auf sie zugeschnittenen Werbe-Häppchen zu füttern, die in der Abstimmung den entscheidenden Unterschied ausmachten. (Dass durch kreative Buchführung die festgelegten Höchstbeträge, die politischen Organisationen während der Brexit-Kampagne eigentlich nur hätten zugewendet werden dürfen, umgangen wurden, ist eine zweite Information dieses Artikels. Cambridge Analytica und AIQ sind übrigens dadurch miteinander verbandelt, dass die Mutterfirma SCL Elections ein Austauschabkommen mit AIQ abschloss, indem Rechte an geistigem Eigentum weitergegeben wurde.)

Ob nun Auswertungsverfahren und / oder auch die von Data Analytica gewonnenen Nutzerprofile den Weg zu AIQ fanden, ist – soweit ich sehe – noch nicht beantwortet.

• Beeinflussung der US-Präsidentenwahl im November 2016

Dass die Wählerschaft der USA nicht zuletzt durch russische Trollfirmen beeinflusst wurde, kann man wohl inzwischen als erwiesen ansehen. Hier ist vor allem der Namen der Petersburger Firma Internet Research Agency zu nennen. Selbst Zuckerberg, der lange irgendwelchen Einfluss von facebook auf die Präsidentenwahl weit von sich wies, muss jetzt einräumen, dass da wohl doch ein schwer quantifizierbarer Einfluss festgestellt werden muss. Und dass facebook den institutionellen Rahmen für sehr subtile und wirksame Beeinflussung von immerhin 137 Millionen Wählern der USA geliefert hat, ist eine Hausnummer, die noch sehr genau bewertet werden muss.

• …und die Konsequenzen?

Wahrscheinlich ist es nur schwer möglich, facebook und damit Zuckerberg strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Für die Zukunft wäre es jedoch unabdingbar, dass Kontrollmechanismen verhindern, dass Wahlen von denjenigen gewonnen werden, die mit den höchsten Werbebudgets und den raffiniertesten targeting-Strategien arbeiten können. Die unlängst ergänzte EU-Datenschutzverordnung kann in diesem Sinne nur ein erster Anfang sein. Angesichts der Reichweite und Bedeutung von facebook & Co muss man aber vermutlich deutlich weiter ausholen. Inzwischen sollte jede/r überlegen, was er facebook anvertrauen möchte oder ob man diesem Netzwerk nicht zumindest privat den Stecker zieht.

[Postscriptum]
Inzwischen melden verschiedene Medien, dass Camebridge Analytica Insolvenz anmelden musste. Mit viel Optimismus kann man das als demokratie-freundlichen Prozess der Selbstregulierung betrachten. Die Werbe-Kunden mochten die Firma jedenfalls nicht mehr beauftragen…

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* Für nicht mit IT-Fragen betraute Menschen ist es schwer nachzuvollziehen, wie die schiere Kombination von großen Gruppen von Einzelmerkmalen dazu geeignet ist, sehr weitreichende Aussagen über Personen zu machen. Eine Untersuchung hat gezeigt, dass es reicht, die likes einer Person, ihr Kaufverhalten, ihre Kommentare und ihr Geschlecht zu kennen, um mit großer Wahrscheinlichkeit die sexuelle, politische und religiöse Orientierung des Betreffenden vorauszusagen.

Brexit wird mit harten Bandagen angegangen

ein Kommentar
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Die gescheiterte Fusion der Börsen von Frankfurt und London macht es noch einmal deutlich, was vor etwas mehr als 2 Wochen der bbc eine Meldung wert war: Der Brexit wird nicht zum Nulltarif zu haben sein. Dr. Andreas Dombret von der Bundesbank hatte in London einen Vortrag gehalten und warnende Worte gesprochen, die nicht überall willkommen waren.

Erstaunlich war, wie Leser von bbc anschließend im Schlachtmodus gewissermaßen noch einmal WW2 spielten. Um es noch einmal in aller Deutlichkeit zu sagen: Ich wäre froh, wenn das UK weiterhin in der EU wäre, Europa verliert nicht nur einen Markt (der wäre zur Not noch zu verschmerzen), sondern vor allem den wohltuenden britischen Pragmatismus.

Wenn man aber nach vollzogener Abstimmung doch kalte Füße angesichts einer wackeligen Zukunft bekommt, sollte man den Schwarzen Peter zunächst mal bei sich suchen. Die Schlachten des 2. Weltkriegs sind Gott sei Dank geschlagen und benötigen auch keine mentale Wiederbelebung.

Scots – we love you…

Gestern gaben einige Abgeordnete aus Schottland im englischen Parlament ihrem Protest gegen den Brexit gesanglich Ausdruck, indem sie die Ode of Joy pfiffen oder sangen. Sie wurden ziemlich rüde zurückgepfiffen. Beethovens und Schillers Ode an die Freude oder ihr englisches Gegenstück Ode of Joy sind die offizielle Hymne der EU.

Anyway, Scots we love you…

www.telegraph.co.uk/news/2017/02/09/snp-mps-sing-ode-joy-brexit-bill-vote

Brexit und die Folgen – Wie’s auch geht… #1

Nicht nur Schottland und Nord-Irland sind nach dem Brexit mit der vorhandenen Situation alles andere als zufrieden, auch viele einzelne Bewohner des UK wollen über einen Umweg ihre EU-Mitgliedschaft bewahren.

Der Weg geht so: Hast du eine (bislang vielleicht nicht so für dich bedeutsame) Großmutter oder einen Großvater mit irischer Staatsbürgerschaft, können jetzt die Enkel beim Citizens Information Board eine irische und damit EU-Staatsbürgerschaft erwerben. Auch andere, direkte Verwandte mit irischer Staatsbürgerschaft qualifizieren für einen solchen Antrag.

Die Behörde konsultieren offenbar so viele Menschen, dass das Personal aufgestockt werden musste. Auch unser schottischer Freund Alex geht jetzt diesen Weg und wird – sollte es dazu kommen und anders als bei dem ersten Referendum – für die Unabhängigkeit Schottlands stimmen…