Silence – Die Vorlage zu Scorseses Film


An einem Tag, an dem ein junger Familienvater zu Grabe getragen wurde, der vor Jahren schon seine Frau durch Suizid verloren hat, stellt sich die Frage nach dem liebenden und/oder allmächtigen Gott ganz ohne akademisches Gehampel. Schon Büchner hatte bei der Frage nach der Vereinbarkeit von Gottes Liebe und Allmacht im Danton vom Fels des Atheismus gesprochen. Gerade wer Christ ist, kann diese Frage nicht beiseite schieben. Scorsese muss von dieser Frage ähnlich berührt worden sein, ging er doch immerhin fast 30 Jahre mit Shusaku Endos Roman Schweigen schwanger, bevor er diesen verfilmen konnte. Der Romantitel bezieht sich im übrigen unmittelbar auf den Umgang Gottes mit dem Leid: Gibt es noch eine andere  wahrnehmbare Reaktion Gottes darauf als eben dieses Schweigen.

Buch wie Film richten den Blick zurück ins Japan des 17. Jahrhunderts: Nachdem Japan zunächst sich durchaus empfänglich für die christlichen Missionare wie Xavier und seine Nachfolger gezeigt hatte, brachen verschiedene lokale Herrscher ab 1630 mit der tolierenden Praxis gegenüber dem Christentum und setzten eine grausame Verfolgung der christlichen Landbewohner, erst recht aber der aus dem Ausland kommenden Missionare ins Werk. Dies ist der zeitgeschichtliche Ausgangspunkt für Endos Roman.

Die Jesuitenpatres Rodrigues und Garppe beabsichtigen, als sie nach langwierigen Vorbereitungen nach Japan aufbrechen, nicht nur den Zustand der bedrohten japanischen Kirche zu erkunden, sondern wollen sich Klarheit über ihren Lehrer und ihr Vorbild Ferreira verschaffen. In die fremde und bedrohliche Umgebung gelangt, wird ihnen zunächst große Verehrung und Anerkennung entgegen gebracht: Die Bauernchristen sind heilfroh, wieder Unterstützung durch Gottesdienste und Riten der fremden Patres zu erfahren. Der Übersetzer Kichijiro spielt dabei eine Doppelrolle: Seine Entwurzelung zeigt sich zum einen in seinem Alkoholismus, andererseits folgt er den beiden Missionaren wie ein Hund, weil er doch noch Erlösung für sich erhofft. Das Schicksal der beiden Patres wird von ihm bestimmt werden.

Nachdem sich Rodrigues und Garppe trennen, richtet sich der Fokus des Buches ausschließlich auf Rodrigues. Wie man es als Leser erwartet, kann er dem Verfolgungsdruck durch die buddhistischen Häscher nicht entkommen und wird in Haft genommen. Obwohl er zuvor Zeuge davon geworden ist, wie den Bauernchristen, wenn sie nicht auf eine Christusfigur als Zeichen ihrer Abkehr vom Christentum treten (fumie-Ritual), mit Brutalität das Leben genommen wird, passiert ihm zunächst – nichts. Rodrigues wird zwar mal in ein anderes Gefängnis verlegt und muss dabei auch die offene Verachtung der Passanten ertragen, sein Schicksal bleibt jedoch in der Schwebe.

Erst als er in die Nähe von Nagasaki verlegt wird und damit in den Machtbereich von Inoue, des örtlichen Herrschers, wird bei der Konfrontation mit seinem früheren Lehrer Ferreira klar, was mit ihm beabsichtigt ist: Er soll umgedreht werden. Ferreira, das einstige Vorbild, nun mit dem japanischen Namen Sawano versehen, hat sich unter dem Druck der Folter dazu bereit gefunden, auf sein Christentum zu verzichten und wissenschaftliche Werke ins Japanische zu übertragen. Schwerer für die innere Haltung Rodrigues’ wiegt aber vielleicht, dass Ferreira ihn darauf aufmerksam macht, dass mit der japanischen Übersetzung des Wortes Gott ein ganz anderer Bedeutungsgehalt transportiert wird, der mit der Vorstellung vom christlichen Gott nur schwer vereinbar ist, Lost in translation gewissermaßen. Das, was den Ausgangspunkt des Romans bildete, erweist sich nun in doppelter Weise für Rodrigues als bedrohlich: Nicht nur seine äußere Sicherheit, sondern auch der Kern seiner eigenen christlichen Überzeugungen ist bedroht.

Rodrigues weiß nun, was ihn erwartet: Auch von ihm wird – befeuert durch die zwiespältige Ermunterung des einstigen Lehrers – das Abkehrritual fumie erwartet, damit er – das ist das teuflische Junktim – die Folter der Bauernchristen beenden kann. In der entscheidenden Situation verhält sich aber der Christus, den Rodrigues vor sich sieht oder imaginiert so, wie der im Evangelium vermittelte Jesus auch verhalten hat: Der Mensch ist nicht für das Gesetz geschaffen, sondern das Gesetz für den Menschen. Der Rest der Geschichte wird dann in Briefen und Dokumenten erzählt, die das Leben Rodrigues’ in Diensten der buddhistischen Bürokratie schildern.

Alles in allem ist Endos Roman ähnlich wie Scorseses Film keine leichte Kost, zwingt einen aber als Leser dazu, sich mit der existentiellen Frage nach Leid und Gott zu beschäftigen. Die Frage, wie Terminologie beim Wechsel von einer Sprache in eine andere auf Inhalte durchschlägt, wird anschaulich. Für philosophisch oder zeitgeschichtlich interessierte Leser empfohlen.

Shusaku Endo, Silence, Picador Classic, ca. 9 € (mit einem Vorwort von Martin Scorsese)
Deutsche Ausgabe: Septime-Verlag, ca. 23 €

Nachsatz: Heute spielt Christentum in Japan weithin eine untergeordnete Rolle, allerdings sind einige führende Politiker in der Vergangenheit Christen gewesen. Faszinierend ist – in gewisser Weise eine Antwort auf das feindliche Nebeneinander von Christentum und Buddhismus aus Silence – das zwei Vertreter des Jesuitenordens in den letzten Jahrzehnten sich sehr dafür eingesetzt haben, den Gegensatz zwischen Zen-Meditation und Christentum aufzuheben: In Japan hat sich der 1990 verstorbene und aus Deutschland stammende Hugo Enomiya-Lassalle SJ als einer der ersten dieser aus dem Buddhismus stammenden Meditationsform geöffnet, in Deutschland ist Stefan Bauberger SJ jemand, der Zazen aktiv betreibt und für kirchliche Praxis für wertvoll hält.

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