„Ferreira ist für uns verloren“, ist die feste Überzeugung des Superiors einer Jesuitengemeinschaft in Macao im 17. Jahrhundert, was den Widerspruch von Pater Sebastiao Rodrigues und von Bruder Francisco Garupe provoziert. Beide machen sich daher auf in das entfernte Japan, um ihren ehemaligen Lehrmeister zu finden und ein Stück ihrer eigenen Jesuitenidentität bewahrt zu sehen. Das ist die Ausgangssituation in Scorseses „Silence“, mit der ein bildmächtiger, fast dreistündiger Film den Kino-Besucher mit auf die Reise nimmt.
Nach gefährlicher Überfahrt erwartet die beiden Patres eine grüne Unwirtlichkeit, die sie erst einmal sprachlos erleben. Jeder Unbekannte kann entweder einer der Häscher sein, die schon Ferreira nachstellten, oder jemand aus der versprengten christlichen Glaubensgemeinschaft. Kommunikation ist daher zwangsläufig erst einmal auf Symbole und Riten beschränkt. Anrührend gestaltet der Kameramann Rodrigo Prieto die meist in der Verschwiegenheit der Nacht stattfindenden Gottesdienste und anderen Begegnungen mit den Bauernchristen. Warme Braun-, Grau- und Blautöne dominieren in diesen Szenen das Bild und lassen Erinnerungen an Caravaggio-Gemälde aufkommen. Die musikalische Untermalung ist eher spärlich und Naturtöne, etwa die Brandung, unterstreichen, dass die europäischen Patres hier einer rohen, naturalistischen Welt gegenüberstehen.
Im ersten Drittel des Filmes entwickelt sich durch die Anwesenheit der neuen Priester wieder so etwas wie eine Untergrundkirche: Aus Strohhalmen gefertigte kleine Kreuze oder auch nur die Perlen eines Rosenkranzes sind im Alltag taugliche Zeichen für den durch die Patres vermittelten göttlichen Zuspruch. Eucharistiefeiern und Beichten helfen den einfachen Bauern, sich ihres Glaubens zu versichern. Allein aber schon die heikle Frage, ob aus dem vertrauten Dorf in andere Dörfer aufgebrochen werden sollte, zeigt, wie fragil diese kleine christliche Welt ist.
Als dann eines Tages die buddhistische Glaubenspolizei in das Dorf kommt, ist der Rest schon absehbar. Immer wieder werden in einer geschickten Erpressungspolitik kleine Gruppen ausgesondert, die – um des vorläufigen Friedens für die restlichen Dorfbewohner willen – ihrem Glauben abschwören sollen. Sie sollen dazu auf Reliefdarstellungen von Christus oder Maria am Boden treten, um dieses Abschwören zu dokumentieren. Entsetzt sieht man aus der Entfernung mit den Augen von Rodrigues und Garupe, wie standhaft auch unter Folter und bis zum Tod die Bauern für ihren Glauben einstehen.
Unter diesen Umständen beschließen die beiden Patres sich zu trennen. Rodrigues wird schon bald durch die sehr ambivalente und an Judas erinnernde Figur des Dolmetschers (gespielt von Tadanobu Asano) verraten und nun gemeinsam mit weiteren japanischen Gläubigen in Haft genommen. Dass der Jesuit aber zu allererst derjenige ist, der gebrochen oder sogar für den Buddhismus gewonnen werden soll, wird mehr und mehr deutlich.
Der Film kulminiert in einer Szene, in der Rodrigues vor das Dilemma gestellt wird, die Menschen, die er liebt und denen er verpflichtet ist, aufzugeben oder seinen Glauben zu verraten. Die letzten Einstellungen stellen Rodrigues dann – gewissermaßen mental entkernt – und als Beamten im Dienst der buddhistischen Glaubensüberwachung dar. Dass seine christliche Überzeugung zumindest aber in seiner Umgebung überlebt hat, wird bei seinem abschließenden Begräbnis für den Zuschauer in einem kleinen Detail deutlich.
Alles in allem ist Silence ein Film, der dem Zuschauer einiges abverlangt, der aber nicht nur künstlerisch, sondern auch bei der Reflektion des eigenen Glaubens viel zurückgibt. Das titelgebende Schweigen ist letztlich die Frage, wie oder auf welchen Wegen Gott dem Suchenden antwortet. Der Film gibt da eine überraschende Antwort, die sich aber vorschneller Verallgemeinerung entzieht. Diese Frage beantwortet jede und jeder nur für sich.
Wer bis hierher noch nicht verschreckt ist, erwartet im Kino (und nur dort!) einen Film, dessen Bilder man sich auch nach Jahren noch vor Augen führen wird. Ein starker Film für Kinoliebhaber.
Eine Besprechung des FILMDIENST
Ein Gedanke zu „Silence – Scorseses’ Meisterwerk“