Den Tisch teilen, aber nicht das Bett

Christinnen und Christen weht zur Zeit ein rauher Wind um die Nase. Das hat mit der sattsam bekannten zögerlichen Bearbeitung des Skandals um sexualisierte Gewalt zumal hier im Kölner Bistum zu tun. Gott sei Dank gibt es mehr zum Thema Christentum, mit dem sich die Beschäftigung lohnt und die positive Seite des Christentums ins Licht rückt. Ein Beispiel ist der Diognet-Brief – etwa aus dem Jahr 190 n. Chr. – der ein erstaunlich selbstbewusstes und hoch-attraktives Christentum demonstriert: Gerade die Gastfreundschaft brachte der Untergrundreligion Christentum vor der Konstantischen Wende viele neue Anhänger.

Der unbekannte Verfasser, der an seinen Adressaten Diognet schreibt, macht deutlich, wie sich Christen selbst verstehen und wie sie – ohne sich von ihren Nachbarn krampfhaft abzusondern – anders leben. Eben etwa durch die oben genannte Gastfreundlichkeit, die sie den Tisch, aber nicht das Bett teilen lässt. Einige weitere Merkmale des Selbstverständnisses und der Lebensweise hier in Listenform:

• Christinnen und Christen setzen Neugeborene und Menschen mit Behinderung nicht aus.

• Sie leben mit allen, aber nicht wie alle, denn sie sind nicht zuletzt auch Bürger des Himmels.

• Sie werden geschmäht, setzen aber andere nicht herab, sondern segnen sie.

• In ihrer Langmütigkeit und Freundlichkeit streben sie ihrem Gott nach, so dass sie sich in dieser Eigenschaft Gott ähnlich zeigen.

Es lohnt sich, diesen Brief einmal komplett zu lesen. Er ist nur unvollständig erhalten und kann mit 15 Minuten Lesezeit aufgenommen werden. Der Brief im griechischen Original oder in deutscher Übersetzung. Danke für den Hinweis, Professor Lutz.

Ein Gedanke zu „Den Tisch teilen, aber nicht das Bett“

  1. Ja, ein sehr interessantes Dokument, das den Kern des Ur-Christseins beschreibt.
    Ein Christ sei ein äußerlich normaler Mensch, der sich aber nur als Gast in der Welt versteht/fühlt und dessen eigentliches Ziel und Heimat das Reich Gottes/ der Himmel ist.
    Seine Menschenfreundlichkeit und Milde gründet sich in den entsprechenden Eigenschaften Gottes und darin, dass im Mitmenschen ein Abbild Christi gesehen wird. Umso mehr, je niedriger dieser in der weltlichen Gesellschaft steht.
    Im Gegensatz zur Eudaimonia der griechisch-römischen Ethik dieser Zeit wird nicht das gute irdische Leben angestrebt, ja dieses geradezu als Hindernis auf dem Weg zum göttlichen/himmlischen Glück angesehen. So lebt jeder Christ idealerweise auf Gott und den Himmel ausgerichtet, nicht auf die hiesige Welt.
    Dies macht den Christen innerlich frei. Er ist durch weltliche Güter nicht zu binden. Er ist arm im Geist (auch wenn er vielleicht weltliche Güter benutzt). Auch hätte er idealerweise keine Angst vor dem Tod (wenn auch verständlicherweise vor dem Sterben), da der ja den Übertritt in das Reich Gottes bedeutet.
    Solche Menschen sind schwer zu beherrschen (auch wenn sie Steuern bezahlen und nicht gewaltsam rebellieren). Mit ihnen ist eigentlich kein Staat zu machen. Folgerichtig werden sie von beherrschungswilligen Machthabern verfolgt.
    Wenn ich vor einem Machthaber stehe, der mich zum Tod verurteilen kann und wird, gibt es innere Freiheit zu sagen „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“, auch wenn das am physischen Tod nichts ändert.
    Der geniale Paulus hat das Scheitern dieses Jesus von Nazareth umgedeutet in die Welterlösung.
    Wer das Ziel hat, lange und wohlhabend zu leben mit vielen Nachkommen, kann sich nicht auf diesen Christus berufen.
    Für die Juden, die ihr Selbstverständnis aus der Zugehörigkeit zu einem Volk ziehen, das von Gott zum Erfolg geführt wird, ist das ein inakzeptables Ärgernis. Für griechisch-römischen „Heiden“, die nach einem gelungenen irdischen Leben streben, schlichtweg eine Torheit, die Spott verdient.
    Zur staatstragenden Ideologie kann man diese Religion nicht machen, ohne sie wesentlich zu verbiegen. Das gelang unter anderem dadurch, dass der Lohn weiter im Himmel versprochen wurde, die Strafen aber höchst irdisch waren.
    Weltliche (kaiserliche) Herrschaft wurde legitimiert als Gottes Wille und der Papst ließ sich instrumentalisieren, dies zu bestätigen, wodurch die Kirche selbst sich immer mehr in konflikthafte weltliche Herrschaft verstrickte. Gleichzeitig führte dieses irdische Reich Gottes zu einer Blüte christlicher Architektur und Kunst.
    Das christliche Ideal der Gastfreundschaft und Fürsorge für Arme, Kranke und Schwache (Hospizkultur) wurde parallel weiter gepflegt und diesbezüglich besonders Tätige als Heilige hervorgehoben, was ja auch dazu beitrug das Gemeinwesen zu stabilisieren. Der Kern des christlichen Glaubens wurde aber zunehmend korrumpiert.
    Reformen wurden, wenn sie zu Rebellion des einfachen Volkes führten brutal niedergeschlagen, andere von nach Unabhängigkeit vom Kaiser strebenden Fürsten und Kaufleuten für ihre Zwecke okkupiert.
    Zunehmend schlich sich der Glaube an das gute und auch materiell erfolgreiche irdische Leben in die Lebenspraxis der Christen ein und gewann parallel mit dem Erfolg der Technik und Medizin immer mehr an Einfluss auf Lebensentscheidungen und -praxis.
    Ich kenne niemanden, der noch so glaubt und lebt, wie es in dem Brief an Diognet beschrieben ist.
    In einem weiteren Schritt wäre zu überlegen, ob denn dieser Glaube sinnvolle Antworten auf die Probleme unserer Zeit geben kann. Was für einen Grund gibt es, diese Welt zu lieben und zu erhalten, wenn ich in ihr doch eigentlich gar nicht zu Hause bin und die angestrebte Nachfolge Gottes im irdischen Scheitern liegt? Ist nicht eher die Weiterentwicklung des ursprünglich jüdischen Gedankens vom erfolgreichen „Volk Gottes“ zu einer erfolgreichen und zukunftsorientierten Menschheit sinnvoll? Diese würde sich friedfertig und menschenfreundlich verhalten, weil dies der dauerhaften Stabilität dienlich ist. Menschlicher Egoismus und Streben nach Wohlstand würde maßvoll als Motor der Entwicklung eingebunden und im Sinne eines dauerhaften Gemeinwohls begrenzt. Wer den Glauben an ein Leben nach dem Tod braucht, um seine Angst zu binden, kann das tun solange es das eigentliche Ziel, den Erhalt der menschlichen Gemeinschaft nicht untergräbt. Mein Ideal ist es, meine Endlichkeit zu akzeptieren und mich als Teil eines großen Lebensstromes zu verstehen (ohne Wiedergeburt!). Auch die Menschenrechte würden in diesen größeren Kontext eingebunden. Selbstverwirklichung wäre nicht das eigentliche Ziel des Lebens.
    P.S. Einer besondere Betrachtung wert finde ich in dem Brief den Satz: Sie heiraten wie alle und zeugen Kinder, jedoch setzen sie die Neugeborenen nicht aus. Warum tun sie das?

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