Hanns-Josef Ortheil – seit seiner Entdeckung des Lebens hier im Haushalt gerne gelesen – legt mit seiner neuesten Erzählung ein Buch vor, dass den Bezug zu Köln deutlich ausspricht. Ausgangspunkt ist eine unvermutete Begegnung vor der Haustür: Mia, Studentin der Kunstgeschichte im medialen Kontext, trifft bei der Rückkehr auf Matteo, eine Zufallsbekanntschaft aus Venedig. Erst nachdem sie den Zettel von ihm gereicht bekommt, auf dem sie selbst ihre Adresse hinterlassen hat, wird ihr klar, dass ihre unverbindlich gemeinte Besuchsaufforderung beim Wort genommen wurde. Obwohl die drei Frauen der WG – zu dieser gehören noch Xenia, die Café-Betreiberin, und Lisa, die Buchhändlerin – vereinbart haben, keine Männer in der Wohnung übernachten zu lassen, nimmt Mia Matteo mit nach oben.
Matteo wird schnell für alle Frauen eine wichtige Bezugsperson, gerade weil er so völlig anders tickt als die illusionslosen und ausschließlich der Jetzt-Zeit verhafteten Frauen. Matteo hat nämlich eine imaginäre Familie, die zeitlich weit ausgreift in Mittelalter und Renaissance und kommuniziert mit diesen ungleichzeitigen Anregern durch Betrachtung, Reflektion und gelegentliche Notizen in seine Kladde. Köstlich ist dann die Beschreibung eines Videoprotokolls von Mitstudenten von Mia, die Matteo in Dom und Antoniterkirche (Barlach!) verfolgen und so gar nicht nachvollziehen können, was Matteo mit dieser für sie lediglich musealen Kunst anfängt. Gelebte Verbundenheit mit Kultur ohne technischen Schnickschnack und ein sinnlicherer Lebensstil kontrastieren mit dem platten Positivismus der Frauen, die aber gerade daran gefallen finden. Matteo ist auf seine Art ein Nachfahre von Eichendorffs Taugenichts oder Peter Schneiders Lenz, die ebenfalls einer diffusen deutschen Italiensehnsucht huldigen.
Fazit: Der Abend hatte seinen Reiz, da Ortheil ein charmanter und manchmal auch geistreicher Plauderer ist. Das ist umso erstaunlicher (wie im autobiographischen Die Entdeckung des Lebens einprägsam geschildert), da er wie seine Mutter nach dem traumatisierenden Krieg über Jahre kaum gesprochen und erst durch einen einfühlsamen Vater schrittweise aus dem Verstummen herausgelockt werden konnte. Gerade im Vergleich zu diesem Dickschiff an Erzählung kommt aber Der Typ ist da schlecht weg: zu beliebig, zu gefällig, zu sehr an der Oberfläche verweilend. Ich würde mir wünschen, noch einmal etwas ähnlich Substantielles von Ortheil wie sein Hauptwerk lesen zu können.
Hanns-Josef Ortheil, Der Typ ist da
Kiepenheuer & Witsch, 20 €