Birne transformiert


Er war unser Lieblingsfeind in den 70er und 80er Jahren: Ein dicker und riesiger Mann mit einer gedehnten, oft geschwollenen Redeweise, der auch die Beimischung des von mir geschätzten Pfälzer Dialekts nicht aufhelfen konnte. Als wir ihn mit der ganzen Familie mal unvermutet in Deidesheim gemeinsam mit dem spanischen König sahen, kam er uns – fernsehentwöhnt wie wir damals waren – wie ein Wesen von einem fremden Stern vor.

Politisch waren die Menschen in meiner Umgebung und ich selbst meist konträr eingestellt zu dem, was die offizielle Regierungspolitik seiner CDU-geführten Regierungen von 1982 bis 1998 anstrebte. Trotzdem musste ich damals zugestehen, dass Kohl Leute in seine Regierungen holte wie Klaus Töpfer, Rita Süßmuth oder Heiner Geißler, denen man Anerkennung kaum verweigern konnte.

Sein größter Verdienst blieb aber, die sich nur kurz bietende Gelegenheit wahrzunehmen, die Spaltung zwischen der DDR und Westdeutschland zu überwinden. Hier hat er – anders als wir ihm ob seiner Körperfülle andichteten und die zum Spottnamen Birne führte – alles andere als abwartend gehandelt: Er hat die durch Gorbatschow eröffnete Gelegenheit entschlossen genutzt und war klug genug, diesen Schritt in enger Abstimmung mit den europäischen Verbündeten zu tun. Frau Thatcher und Herr Mitterand konnten diese Wiedervereinigung dann auch nicht mehr verhindern.

Sicher war es vermessen, „blühende Landschaften” zu verheißen, wenn klar war, dass die alte DDR-Industrie in großem Stil und insgesamt ziemlich rabiat abgewickelt wurde. Trotzdem bin ich froh, dass sich die Teile der Linken, die ein langsames Aufeinanderzugehen der beiden deutschen Staaten favorisierten oder die im Extremfall voller Selbsthass nur noch von Doitschland sprachen, nicht durchgesetzt haben.

Auch das heutige Begräbnis von Kohl wirkt zwiespältig auf mich: Einerseits der rabiate Bruch, den Kohl auch mit seinen Söhnen vollzog, die von der schwarzen Witwe sorgsam draußen gehalten wurden. Hier hätte es Kohl und seiner neuen Frau gut angestanden, zumindest ein Mindestmaß an Kontakt zuzulassen, nachdem Kohl in der Vergangenheit seine Ludwigshafener Familie zur Staffage gemacht und funktionalisiert hatte. Andererseits war der heutige Festakt in Straßburg doch als europäischer Staatsakt so gewichtig, dass das familiäre Zerwürfnis dahinter ein wenig zurücktrat. Mögen die Söhne Kohls irgendwann damit ihren Frieden machen, dass ihnen dieser Vater elementare Dinge verweigert hat, als Vater versagt hat, während er als Politiker unter dem Strich Beachtliches geleistet hat.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert