Wer den Film Billy Elliot gesehen hat, erinnert vielleicht die Schlussszene, die mich auch heute noch rührt: Billys Vater und Bruder Tony sitzen im Opernhaus, Billy hat noch vor seinem Auftritt die Nachricht erhalten, dass Vater und Bruder zuschauen. Und dann setzt Billy, seinen eigenen Auftritt beginnend, zum Sprung an. Dank Slow Motion dauert dieser eine ganze Weile, bevor er zum Schlussbild einfriert. Das ist nicht nur großes Kino, sondern machte mir zumindest deutlich, weshalb Balett auch heute noch große Begeisterung auslöst. Für mich war es die Kombination aus athletischer Kraft, großer Form, die nur mit fast endlosem Üben zu Stande kommt, und begeisternder Musik.
Zwei Generationen vor dem Film-Billy hat Rudolf Nurejew die Balletwelt betört. Diese Leitfigur des neuzeitlichen Baletts war tatarisch-russischer Herkunft und ist der Mittelpunkt des Romans Dancer von Collum McCann. Der irisch-amerikanische Schriftsteller hat sich mit diesem 2003 veröffentlichten Roman in die erste Reihe englisch-sprachiger Romanautoren der letzten Jahrzehnte geschrieben. Faszinierend ist die Vermischung von biographischem Material von und über Nurejew, das McCann mit eigenen Figuren und Begebenheiten um diesen Ausnahmetänzer herum anreichert. Gerade durch die Vielstimmigkeit des Romans, immer wieder andere Ich-Erzähler bringen ihre subjektive Perspektive ein, entsteht ein faszinierendes Portrait. In wieweit damit die reale Figur Nurejew abgebildet wurde, steht dahin, ist aber nur von minderer Bedeutung.