für Dalita H.
Zunächst scheinbar ohne Bezug zueinander, erzählt Shafak die Geschichte von zwei jungen Frauen: Asya, im matriarchalen Haushalt der Mutter, deren drei Schwestern und zweier Großmütter in Istanbul aufwachsend, steht Armanoush gegenüber, deren armenisch-stämmiger Vater und ihre Mutter Rose, Landei aus Arizona, längst nicht mehr zusammen leben. Dafür hat Rose sich neu mit Mustapha liiert, der wiederum der Onkel von Asya ist und aus Gründen, die erst später klar werden, und auch weil er den Fluch der früh versterbenden Männer seiner Herkunftsfamilie fürchtet, in die USA ausgewandert ist.
Beide jungen Frauen begegnen einander, als Armanoush ihren beengenden amerikanischen Familien (sehr lustig die Schilderung, als Armanoush einen jungen Mann treffen möchte und die ganze Familie in den Überwachungsmodus versetzt ist) entflieht und etwas über ihre armenisch-türkischen Wurzeln in Istanbul erfahren will. Die Schilderung der Vorgeschichte von Armanoush berührt dann: Der Geschäftsmann Hovhannes Stamboulian wird am Abend, als er eine märchenhafte Erzählung (The story of a the little lost pigeon) für seine Frau fertigstellen möchte, in seinem Haus von einer Gruppe türkischer Soldaten heimgesucht, die ihn zum Schluss abführen. Eine rubinenbesetzte Brosche, ein Familienerbstück, bleibt zunächst im Haus der Stamboulians, wird aber anschließend durch das Hin und Her ihres Verbleibs zum Symbol einer gewaltsam beendeten Tradition von armenischem Leben in der Türkei. Die Schilderung dieser Vertreibung hat Shafak den Ritterschlag für widerständige türkische Schriftsteller und Journalisten verschafft. Sie wurde nach § 301, dem Gummiparagraphen, der die Beleidigung des Türkentums unter Strafe stellt, angeklagt, die Anklage aber später fallen gelassen.
Formal bedient sich der Roman Zutaten aus dem magischen Realismus, wenn die Djinns der weissagenden Tante auf die Handlung Einfluss nehmen. Eine moderne Zutat sind die Zitate aus einem Chat, der für Armanoush eine Möglichkeit darstellt, auch in der Fremde ihre Partner aus dem virtuellen Café Constantinopolis zu Zeugen und Begleitern ihres wagemutigen Besuchs in Istanbul zu machen. Im wahrsten Sinne gewürzt wird der Roman durch die Kapitelüberschriften, die – bis auf das Schlusskapitel – den Reichtum orientalischer Küche vermitteln, auf die sich Türken wie Armenier gleichermaßen beziehen können. Wahrscheinlich um Distanz zum Beschriebenen einnehmen zu können, hat Shafak den Bastard in Englisch geschrieben – ein Umstand, der ihr von Nationalisten quasi als Vaterlandsverrat um die Ohren gehauen wurde.
Alles in allem überzeugt Shafaks Roman formal und inhaltlich und besitzt genügend Finalspannung, um einen auf die Auflösung der familiären Rätsel gespannt sein zu lassen. Shafak zeigt sich mit dem Roman an der Seite anderer mutiger türkischer Kulturschaffender wie Fatih Akin und Orhan Pamuk, die sich der traurigen Vergangenheit stellen und ein wenig Hoffnung machen, dass sich die Türkei insgesamt irgendwann dem Genozid an den Armeniern stellen wird.
Elif Shafak, The Bastard of Istanbul, Penguin Books, 2007