Romanische Nacht – die zweite Bescherung


Heilig Abend lief nach einem strikt beachteten Ritual ab: Mein Vater ließ ein Glöckchen ertönen und wir machten uns zu sechsen treppab ins Wohnzimmer auf. Dabei sangen wir ein Weihnachtslied. Der Glanz in den Augen meines Vaters machte klar, wie sehr er selbst dieses Ritual genoss, wenn ihn sonst schon schlecht verdaubare Kriegserlebnisse oder die Entbehrungen seiner Kindheit oft herunterzogen. Jedenfalls ließ ich mich von dieser kindlichen Festtagsfreude anstecken und genoss diesen geheimnisvollen Abend ungemein.

Fast sechzig Jahre später schenken mir die letzten Juni-Tage eine zweite, unter dem Strich dann etwas weniger schwermütige Bescherung: Die Konzerte des Romanischen Sommers, abgehalten in den wiederhergestellten romanischen Kirchen Kölns, gipfeln am letzten Freitag in Sankt Maria im Kapitol in der Romanischen Nacht.

Seit über 25 Jahren gelingt es der Programmleiterin Maria Spering gemeinsam mit Rainer Nonnenmann in dieser Konzertreihe immer wieder, Niegehörtes oder nur den Experten Bekanntes in den Kirchenraum zu zaubern. Wenn ich eine Berufsbezeichnung finden müsste, würde ich Maria Spering als Musikethnologin bezeichnen. In die Sparte Musikethnologie fällt eindeutig das, was am 22. Juni in Maria Lyskirchen das litauische Frauenensemble Trys Keturiose vortrug. Deren Liedform nennt sich Sutartin?s und ist inzwischen als immaterielles Kulturerbe eingestuft. Die Fünf sangen seit Jahrhunderten überlieferte Lieder über Bäume, Bienen oder über eine Hochzeit.  Liedrufe einer Vortragenen werden dabei von den anderen Frauen beantwortetet. Fazit: Nichts, was man morgens unter der Dusche hören möchte, aber ein faszinierendes Zeugnis dafür, was mit Stimme in unterschiedlichen Kulturen alles gemacht und ausgedrückt wurde. Ein leichter zugängliches Beispiel für diese Liedform von einem anderen Ensemble findet sich hier.

Der Höhepunkt dieser Veranstaltungsreihe war dann wie immer die Romanische Nacht am 23. Juni. Wichtige Bestandteile dieses vierstündigen (manchmal noch länger dauernden) Konzerts ist der besondere Kirchenraum von Sankt Maria im Kapitol. Der durch den Lettner geteilte Kirchenraum wird auf zwei Bühnen bespielt: Der vordere Teil vor dem Lettner ist strikt auf den Altar bezogen, der  hintere Teil erweitert sich in verschiedene Konchen und erinnert durch seine Ausmalung der Rundbögen an die Mezquita in Cordóba. Dies – unterstrichen durch die besondere Ausleuchtung – ist die perfekte Umgebung, um wie in der Vergangenheit so Unterschiedliches wie fernöstliche Musik, Musik der sephardischen Juden (Joglaresa)  oder Mittelalterliches von Sequentia vorzustellen. Die zweite Besonderheit dieses Konzertes ist die Möglichkeit, zwischendurch im Kreuzgang der Kirche an einfachen Bänken und Tischen einen Wein oder etwas Essbares zu sich zu nehmen. Das wird gerne genutzt und tut dem konzentrierten Zuhören in der Kirche kaum einen Abbruch.

Auch in diesem Jahr konnte sich das Programm der Romanischen Nacht sehen lassen: Die beiden serbischen Zwillingsbrüder Teofilovíc warteten mit zweistimmigen einfachen Liedern auf, die nur gelegentlich mit einer kleinen Trommel begleitet wurden. Das Rihm-Stück Et Lux war dann das durchkomponierte, eher apollinisch anmutende Gegenstück, das konzentriertes Zuhören erforderte. Matthias Schriefl und Band leiteten dann zu einem Mix aus Bossa Nova, Bairischem und viel Jazz über, bei dem alle Band-Mitglieder mit einer professionellen Beherrschung ihrer Instrumente oder – im Fall von Patricia Cruz – ihrer Stimme zu überzeugen wussten. Ob es dann ein Muttergottes-Mambo vor  der Marienstatue sein musste, bleibt Geschmackssache – mitreißende Musik blieb es allemal. Die letzte Gruppe an diesem Abend sprach dann eher auch den Verstand an. Man musste nämlich wissen, dass die Vorlagen von Ordo Virtutem gewissenmaßen aus dem Reißwolf stammten. Nach der Reformation hatten viele bis dahin sorgsam aufgehobenen Musikhandschriften nur noch Materialwert. Diese wurden dann zerstückelt und einer Zweitverwertung zugeführt. Diese Schnipsel konnten dann in mühsamer Rekonstruktionsarbeit so zusammengetragen werden, dass manches davon wieder aufführbar wurde. Ein gelungener und wieder fokussierender Abschluss durch das Ensemble von Stefan Morent – und schön, wenn es weiterhin auch junge Sänger gibt, die an Gregorianik Gefallen finden.

Was mir über die Jahre noch aufgefallen ist: Insgesamt werden die Konzerte nicht mehr von ganz so vielen angenommen. Früher hatte gerade die Romanische Nacht auch etwas Festivalmäßiges an sich, wenn sich junge Leute mit Decken und ähnlichem in die Nischen dieser Kirche lagerten und den Altersdurchschnitt doch beträchtlich senkten. Vielleicht geht da ja in Zukunft noch mal was, wenn die Aufsichten weniger als Feuerpolizei auftreten… Auch für mittelalte und alte Musikliebhaber gibt es bei diesen Konzerten aber viel zu entdecken.