Boris Johnson als Lappenclown

Ältere Semester werden ihn noch kennen: Eine immer noch gültige Führerschein-Ausfertigung der alten Bundesrepublik galt als Lappen, weil er auf ein Leinen basiertes Papier gedruckt wurde. Er war unhandlich, immer etwas speckig, hatte aber einen Vorteil: Er berechtigte dazu, LKWs bis 7,5 t zu fahren.

Boris Johnson muss arg in Not sein, wenn er diese Eigenschaft von Deutschen (horribile dictu) angesichts der aktuellen Transportkrise im Vereinigten Königreich nutzen benutzen möchte. Die Leute, die ich kenne, werden als Akademikerinnen kaum Interesse haben, für ein Butterbrot englische Lieferwagen durch’s Land zu fahren.

Vielleicht hat BoJo aber viel strategischere Ziele. Er möchte im kommenden Kölner Karneval – so er denn stattfindet – als Lappenclown geehrt werden. Das ist eine für den Kölner Karneval typische und höchst angesehene Verkleidung. Dem clownesken BoJo ist diese Rolle nun wirklich auf den Leib geschnitten.

And one more thing, BoJo: Can’t help either, exchanged this special lappen licence some years ago to have less hassle when using a rental car in Ireland.

Brexit: Eine Mogelpackung ist eine Mogelpackung ist eine Mogelpackung

Boris Johnson hat 2016 eine Weile überlegt, welches Projekt ihm persönlich am meisten Fortkommen verschaffen würde: Ein Vorstoß zu mehr britischem Gewicht innerhalb der EU oder ein Frontalangriff auf die EU. Es kam – wie wir inzwischen wissen – zu der „Vote Leave”-Kampagne. Ein griffiger Slogan lautete damals We send the EU £35 million a week / let’s fund our NHS instead. Solche Parolen und eine hochprofessionell auf Zielgruppen ausgerichtete Propagandamaschine über Social Media verfehlten ihre Wirkung nicht. Am Ende stand ein Abstimmungsergebnis von 52 % zu 48 %. Junge Leute waren überraschender Weise weniger zahlreich im Irrglauben zur Abstimmung gegangen, ihre Stimmen seien entbehrlich.

Vier Jahre und zwei Tory-Regierungen später steht BoJo nun unter enormem Druck das, was er so vollmundig an positiven Effekten eines Brexits beschrieben hat, auch zu liefern.

Dabei hat das UK gleichzeitig sehr heftig unter den Auswirkungen von Covid-19 zu leiden. Die Idee, eine Herdenimmunität zu erzeugen, musste wegen der vielen Corona-Toten (bislang über 64.000) verworfen werden. Gleichzeitig hatten mehrere Lockdowns zusammen mit der Unsicherheit um den Brexit die Wirtschaft schwer gebeutelt: Im 2. Quartal 2020 schrumpfte das Bruttosozialprodukt um beachtliche 20 % (D: -10,1 % im Vergleich). Drei Problemfelder bei den Verhandlungen mit der EU sind nach wie vor geblieben: Die Fischereirechte, die inner-irische Grenze und die Festlegung auf gleiche Spielregeln beim Warenaustausch – auch bekannt unter dem Stichwort level playing field. Mit diesen Regeln soll verhindert werden, dass das UK Subventionen für Produzenten gewährt oder die Qualitätsstandards für britische Waren so herabsetzt, dass bei der Ausfuhr in die EU unfaire Handelsvorteile entstünden.

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Hat Boris Kreide gefressen?

Es galt eigentlich als sein Markenzeichen, dass sich Boris Johnson immer mal wieder höchst unfein, sexistisch oder rassistisch äußerte (Stichwort letterbox). Im Moment scheinen seine Manager ein Auge darauf zu haben, dass so etwas vor dem Wahltermin in einer Woche unterbleibt.

Gleichzeitig hat es Johnson verstanden, solche Interviewtermine auszuschlagen, die seine Widersprüchlichkeit hätten aufdecken können. Dazu kommt ein Rückenwind, den er dem NATO-Gipfel in London zu verdanken hat. Den Rest besorgt das Mehrheitswahlrecht. Man muss dann wohl von einem kommenden Prime Minister Johnson nach dem 12.12. ausgehen. Begünstigt wird dies zudem durch einen Oppositionschef Corbyn, der eher den Robespierre in einer Laienspieltruppe geben könnte als den Regierungschef einer großen Volkswirtschaft. Die Briten werden sehen müssen, was sie mit einem obersten Windbeutel BoJo erwartet.

Boris Johnson – der Windbeutel ist geplatzt

Eigentlich hätte der gesunde Menschenverstand BoJo sagen können, dass das Außerkraftsetzen des Parlaments in einer Phase, die nun wirklich über die Geschicke des Landes entscheidet, mit Demokratie wenig zu tun hat. Er hat es jetzt schriftlich von mutigen Richterinnen und Richtern mit nicht zu überbietender Deutlichkeit gesagt bekommen: Deine Beurlaubung des Parlaments über 5 Wochen war von allem Anfang an unrechtmäßig und nichtig.

Die Schreier der Pro-Brexit-Fraktion werden jetzt wieder den Volkswillen auf quasi übernatürliche Weise für sich beanspruchen. Wahrscheinlich wird es BoJo aber kein 2. Mal riskieren, wieder per Gericht über seine Pflichten belehrt zu werden. Seinen Plan, den Parlamentsbeschluss gegen einen ungeregelten Brexit zu ignorieren, wird er vermutlich begraben.

Bleibt dem UK zu wünschen, dass bald jemand – nach dem 31.10. – als PM gewählt wird, die oder der das zerrissene Land wieder zusammenführt und den Pragmatismus wieder zur Leitlinie macht, der mal ein Markenzeichen des UK war. Die Äußerungen von BoJo aus New York lassen aber ahnen, dass er zumindest nichts kapiert hat.

Boris Johnson – der Bock wird Gärtner

Das Erwartbare ist eingetreten: Mit 2/3 der aufgerufenen Mitglieder der Conservative Party ist Johnson zum neuen Premierminister des Vereinigten Königreichs geworden. Zum Mitschreiben: Die 92.153 Wähler der Konservativen, die Johnson in einer Briefwahl ihre Stimme gegeben haben, entsprechen etwa 1,47 % der Gesamtbevölkerung von 60.800.000 Bewohnern (Zensus 2011). In einer Situation, wo die Regierungen Weichenstellungen für Jahrzehnte vornimmt, ist das schlichtweg absurd. Das Land, das mit der Glorious Revolution von 1688 schon erste Schritte Richtung Volksbeteiligung und Einschränkung der Königsmacht beschritt, entpuppt sich dieses Mal in seiner eigenen Tradition hoffnungslos verfangen. Wie soll ein „Clown“ – auf diesen Begriff konnten sich viele Beobachter einigen – den schwierigen Austrittsprozess aus der EU gedeihlich für beide Seiten moderieren? Sachkenntnis ist nicht Boris’ Ding (siehe seine Bemerkungen zum Artikel 24, Paragraf 5 b des GATT-Abkommens, als er sich von einem BBC-Reporter sagen lassen musste, was dessen Inhalt sei) und nur den Hanswurst und unkonventionellen Haudrauf zu machen, wird die Probleme nicht lösen.

Man kann nur hoffen, dass das Parlament, das schon mal Tagungstermine Mitte Oktober sicher gestellt hat, ihn an Schnellschüssen hindert. Auch die Wirtschaftverbände, denen Johnson ein „fuck economy“ zurief, werden hoffentlich an seiner Bändigung mitwirken.