Singen und Saufen – Shane MacGowan

Schon der zweite Künstler aus Irland, der in diesem Jahr vorzeitig verstorben ist. Es war für mich mehr als bei Sinéad O’Connor absehbar, dass Shane MacGowan kein langes Leben mehr beschieden sein würde. Der Film „Shane” (2020) zeigte ihn im Rollstuhl und mit wenig artikuliertem Sprechen. Wer sich andererseits vergegenwärtigt, dass die Schriftsteller George Bernhard Shaw und Brendan Behan oder der Rockgitarrist Rory Gallagher mit Alkoholismus kämpften, wird Shanes Sucht für weniger singulär halten. (Auch in „Angela’s Ashes” von Frank McCourt ist mir ein Vater in Erinnerung, dem Guiness das Essen ersetzte.)

Wir würden Shane MacGowan aber Unrecht tun, wenn wir vorwiegend auf seinen Suff starren würden. Er hat zusammen mit den Pogues den Nachweis geführt, dass Punk und irische Folklore zusammen gehen können. Viele Balladen wie „A Pair of Brown Eyes”, „A Rainy Night In Soho” oder „Fairytale of New York” werden ihn überdauern und zum Soundtrack von Irischsein in Irland und in der Diaspora beitragen. Vielleicht ist er ein wenig mit Tom Waits vergleichbar, der auch das Leben aus der Perspektive der Underdogs betrachtete. R.I.P., Shane.

PS: Ein Nachruf der Irish Times

Sinéad O‘Connor

Die Familie der im Juli 2023 verstorbenen Sinéad O’Connor hat mit Recht darum gebeten, nichts zu den Umständen von dem Tod der irischen Sängerin sagen zu müssen. Die Umstände sprechen dafür, dass ihr 2022 der Tod ihres 17jährigen Sohnes Shane durch Suizid entgültig den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Dafür habe ich allergrößtes Verständnis.

Musik

Was bleibt von ihr? An erster Stelle sicher ihr Album I do not want what I haven’t got, das 1990 erschien.  Dort schuf sie eine neue Mischung aus häufig Drum Machine basierten Schlagzeuglinien, Folklorelementen, Streicherklängen und einer ausdrucksstarken Stimme. Mit ihr konnte sie in einer Liedzeile von ordinär auf glockenreine Kopfstimme umschalten. Die Texte dieses Albums wie auch des Vorgängeralbums The Lion and the Cobra waren fast durchweg sehr persönlich gehalten und häufig von einer schonungslosen Offenheit.

Als Musikerin hat sie übrigens nicht nur ihre eigenen Projekte seit Jugendzeit vorangetrieben, sondern ist auch mit vielen bekannten oder weniger bekannten Musikerinnen und Musikern aufgetreten. Zu diesen gehören Pink Floyd, Peter Gabriel, Prince, die Chieftains und andere. Einige typische Stücke von ihr finden sich hier. Zumutungen des Musikbetriebs, was Äußerliches angeht, wusste sie zurückzuweisen. Lieber verzichtete sie z.B. auf eine Grammy-Ehrung.

Religion

Wer sich lumen Christi (der Liedruf Licht Christi ist Teil der Osterliturgie) auf die Hand tätowieren lässt oder in feel so different den Serenity Prayer von Niebuhr zitiert, muss eindeutig ein Interesse an Religion haben. Auch auf diesem Gebiet blieb Sinéad O’Connor eine Suchende: Sie hat sich zur Priesterin einer Abspaltung der katholischen Kirche weihen lassen, hat verschiedene Namen angenommen und schließlich in Abgrenzung von ihrer katholischen Herkunft 1992 ein Bild von Papst Johannes Paul II. zerrissen. 2018 konvertierte sie zum Islam und nahm den Namen Shuhada‘ Sadaqat an. Im Musikleben behielt sie ihren alten Namen bei.

Familie

O’Connor hat ihre Familie als dysfunktional beschrieben. Von der Mutter heißt es, dass sie Sinéad geschlagen habe. Die Zerwürfnisse in der Familie bewirkten, dass sich die Eltern schließlich trennten und der Vater in die USA zog. Die Mutter blieb hingegen alkoholkrank in Dublin. Diese verunglückte bei einem Autounfall, als Sinéad 18 war. Die harsche Kritik an beiden Eltern relativierte ihr Schriftsteller-Bruder Joseph, sprach aber trotzdem, die schädliche Wirkung Mutter qualifizierend, von “extreme and violent abuse, both emotional and physical“. Sinéad lebte deswegen schon früh in verschiedenen Einrichtungen außerhalb der Familie. Auch wenn diese alles andere als perfekt waren, erhielt sie dort mehr Freiraum als andere Mädchen und konnte schon früh ihre Musikinteressen verfolgen.

Die Zerwürfnisse, die Sinéad in ihrer Herkunftsfamilie erlebte, blieben ihr auch bei Partnerschaften, die sie einging, nicht erspart. Vier Eheschließungen folgten vier Trennungen. Sie brachte vier Kinder in diesen Beziehungen zur Welt, von denen ihr der Sohn Shane besonders nahe stand.

R.I.P., Sinéad O’Connor.

 

Sehr ausführlich über Sinéad O’Connor hat die Irish Times berichtet, von wo ich auch die Fotos für die Fotomontage genommen habe.

Von Irland lernen

Als Irland-Aficionados verfolgen wir natürlich auch, was sich in unserer 2. Heimat in Covid-19-Zeiten tut. Zuerst muss man feststellen, dass Irland mit sehr harten Maßnahmen im Herbst die Erkrankungszahlen deutlich senken konnte: Lebensmittelgeschäfte sind vormittags in bestimmten Zeiten für ältere Menschen reserviert, Pubs und Restaurants haben geschlossen oder sind auf Take-Away beschränkt, der Bewegungsradius ist auf 5 Kilometer um den Wohnort beschränkt (mit Ausnahmen), das Leben ruht weitgehend. Das Ergebnis ist dieses:

Sicher trägt zu solch’ einer rigiden Politik auch bei, dass das irische Gesundheitssystem ziemlich mau ist. Keine/r liegt Wert darauf, in einem irischen Krankenhaus oder einer Ambulanz behandelt zu werden, wenn es um ernsthafte Erkrankungen geht.

Wie besonnen und klug aber der Umgang mit Covid-19 sonst noch ist, lässt sich bei der Irish Times unter dem Stichwort Lives Lost beobachten. Vielleicht geht es leichter in einem kleinen Land, dass das individuelle Leben höher geachtet und die Menschen, die es geführt haben, entschiedener wertgeschätzt werden. Zu sehr vielen Gestorbenen schreibt diese führende Zeitung des Landes einen kleinen Lebenslauf mit Kurzbeschreibung, Lebensdaten und einem Foto. Keine/r bleibt unbedacht.

Vielleicht wären die Nicht- und „Quer“denker in diesem Land anders unterwegs, wenn sie mitbekämen, wer auch aus ihrer Generation gestorben ist und wessen Geschichte besonders berührt. Von „Quer“-Denkern in Irland ist mir jedenfalls nichts bekannt.

PS 31.12.20: Inzwischen sehen die Zahlen für Irland deutlich ungünstiger aus. Möglicherweise ist die neue Virus-Mutation aus dem UK dafür verantwortlich.

Positiv: Der Tagesspiegel hat das Vorbild der Irish Times aufgegriffen. Auch hier finden sich inzwischen Mini-Porträts der Verstorbenen, mit denen diese der Anonymität der großen Zahl entrissen werden. Von solcher Wertschätzung gerne mehr…

Auch das noch: Fungie ist fort

Für 37 Jahre besaß das Städtchen Dingle auf der gleichnamigen Halbinsel eine verlässliche Attraktion: Der auf den Namen Fungie getaufte Delfin lebte ortsfest im großen Naturhafen von Dingle. Seit Mitte Oktober diesen Jahres gab es keine Sichtungen mehr des Delfins. Eine zuverlässige Erwerbsquelle für die Bootsführer einer Reihe von Schiffen ist weggefallen. Diese Menschen müssen sich nach etwas Neuem umsehen.

Auch wenn mir der Rummel um Fungie manchmal auf die Nerven ging (und erst recht vermutlich diesem Tier), war es doch schön, abends zum Leuchtturm zu gehen und einigermaßen zuverlässig Fungie vom Ufer aus beobachten zu können.

Vielleicht war für Fungie auch einfach nicht genug los, jetzt im Covid-19-Lockdown. Häufig lieferte er sich Wettrennen mit den Booten, die jetzt kaum noch ausfuhren. Zum Trost: Ortsfeste Delfin-Gruppen gibt es auch an der schottischen Küste im Moray Firth vor Inverness. Wir haben auch schon mal Delfine vor Ventry / Ceann Trá beobachtet. Die Welt hat es übrigens registriert, dass dieses besondere Tier sich verzogen hat oder tot ist: New York Times, BBC und die Irish Post berichteten.

Toíbín: House of Names

Toíbín segelt eher unter dem Radar der Literaturkritik, soweit es um die ganz großen Namen geht. Dabei ist sein 2017 veröffentlichter Roman House of Names ein packendes Stück Literatur und stilistisch Maßstäbe setzend.

Das Personal und einige Elemente des Plots entnimmt Toíbín klassischem griechischen Tragödienstoff. Die Hauptfiguren, nach denen auch einige der Kapitel benannt sind, sind Klytemnestra, Agamemnon, Iphigenie, Orestes, Ägisthos und Elektra. Zutat von Toíbín ist Leander als Ausbruchshelfer und Freund von Orestes. Der Ausgangspunkt der Handlung ist das Opfer der Tochter Iphigenie durch ihren Vater Agamemnon. Mit diesem sollen die Götter für eine Wende im steckengebliebenen Krieg um Troja gewonnen werden. Soweit klassisch, auch mit der Frage, in wieweit die Götter geeignet sind, sich an ihnen zu orientieren. Klytemnestra kann diesen Mord aus Staatsräson nicht verhindern und sinnt auf Rache. Um Orestes aus der sich abzeichnenden familiären Fehde herauszuhalten, wird er wie auch eine Reihe anderer junger Männer entführt und im Abseits festgehalten.

Was und wie Toíbín die Handlung anschließend entwickelt, ist teilweise spannender als ein Kriminalroman zu lesen. Dabei ist seine Prosa absolut schnörkellos und fesselnd. Kein überflüssiges Wort lenkt ab, Beschreibungen von Personen und Landschaften sind knapp und auf das Wesentliche beschränkt. Den Rest besorgt die Leserin / der Leser per Imaginierung. 260 Seiten (in der englischen Ausgabe) reines Lesevergnügen, an das man auch nach Tagen noch dankbar, vielleicht sogar berührt, zurückdenkt.

In deutscher Ausgabe bei Hanser: Colm Tóibín, Haus der Namen, Übersetzung Giovanni Bandini und Ditte Bandini, 24 €. Die englische Originalausgabe bei Penguin / Random House, ~ 9 €.

Lankum – eine Liebeserklärung

Nein, in der Lanxess-Arena hier in Köln werden sie nicht auftreten, sie bevorzugen kleinere Auftrittsgelegenheiten wie Wohnzimmer, Clubs oder kleine Konzertsäle. Um wen geht’s?

Radie Peat, die beiden Brüder Ian Lynch und Daragh Lynch und Cormac MacDiarmada bilden gemeinsam Lankum und leben in Dublin. Mit dem Namen der Band, der aus einem Traveller-Lied entnommen ist, ist auch programmatisch etwas gesagt: Es geht eher um Lieder von Außenseitern und den „Helden“ der Folksongs, die aber wiederum gerne – ein wenig gegen den Strich gebürstet – vorgetragen werden. Vielfalt bei den Instrumenten und die besondere Stimme von Radie Peat sorgen dafür, dass zu keiner Zeit eine Stimmung aufkommt Ok, noch ’ne Version von ’Wild Rover’. Wer Videos mag, kommt bei Lankum ebenfalls auf seine Kosten wie bei Hunting the Wren oder Cold Old Fire.

Wer wissen will, wie Folk ohne „-tümlich“ im Sinne von „volkstümlich“ geht, ist bei Lankum gut aufgehoben. Vielleicht sind sie sogar eine Gruppe, die zeigen kann, wie Folk im 21. Jahrhundert geht.

Mehr Gälisches aus Irland & Schottland

Viel Spaß mit meinen neuen Funden.

Irish Folk – revisited

Ich geb’s ja zu: Ich bin abhängig von regelmäßiger Zufuhr an irischer Musik, vorzugsweise live. Da aber auch das Geld für regelmäßige Irlandbesuche verdient werden muss, freut es mich, wenn rté, der irische Fernseh- und Rundfunksender, und TG4 junge Künstler aus der Sparte Irish Folk mit zeitgemäßer Optik und gutem Klang präsentiert. Hier eine Sammlung meiner Streifzüge. Viel Spaß.

Rocky Road to Dublin / Lankum

Foggy Dew / Daoirí Farrell

The Parting Glass / Freddie White

Green Fields of France / Niall Hanna and Niamh Farrell

The Town I Loved so Well / The Henry Girls

A Rainy Night in Soho / Steo Wall

Eleanór na Rún / Linda Nic Leóid & Niamh Farrell