Das achte Leben – Jahrhundertroman mit georgischem Hintergrund

„Ein Buch muß die Axt sein für das gefrorene Meer in uns“ ist von Franz Kafka überliefert. Darf’s vielleicht auch ein Hammer sein? möchte ich kess fragen, nachdem dieser 1275-Seiten-Wälzer 8 Wochen lang Lesefutter und schwer zu handhabendes Gewicht für mich war. Das Buch „Das achte Leben“ von Nino Haratischwili ist aber insgesamt ein Schwergewicht. Als Deutschlehrer, der kürzlich zwei besonders lernwillige Schülerinnen aus Georgien unterrichtet hat, wundert es mich auch nicht mehr, wie kurz nach ihrer Einreise Haratischwili zu der Zweitsprache Deutsch für ihren Roman gegriffen hat. (Da kann ich auch gerne über das ungeliebte beinhalten hinwegsehen.)

Der Inhalt kann nur in groben Zügen skizziert werden: Eine Familiengeschichte in Georgien, die die Autorin etwa 1900 beginnen lässt, reicht bis in die fast unmittelbare Gegenwart mit erneuter Unabhängigkeit des Staates Georgien hinein. Damit sind all’ die Jahre von Stalins Terror, die Leiden im Zweiten Weltkrieg, die Agonie der Breschnew-Jahre und die inneren Fehden im neuen Staat Georgien umfasst. Die Geschichte der Familie Jashi vollzieht sich vor diesem Tableau. Sie startet recht harmonisch, wenn der Stammvater der Erzählung als Schokoladenfabrikant den wirtschaftlichen Erfolg der Familie begründet. Dessen Kakao-/Schokoladenrezept ist allerdings so wirkmächtig, dass den wenigen, denen die Weitergabe des Geheimrezeptes anvertraut wird, äußerste Zurückhaltung und Verschwiegenheit verordnet wird. die besondere und nicht nur heilsame Wirkung des Kakaotrunks nur mit Bedacht zu gebrauchen. (Das ist eine kleine Anleihe an den Magischen Realismus.)

Den Roman durchzieht eine eigentümliche Wehmut: Obwohl die familiäre Verbindung untereinander von keinem der Protagonisten geleugnet wird, wird doch eher gegen einander agiert: Wer was werden soll und darf, wird oft im Kleinkrieg ausgetragen. Dazu kommt, dass ein totalitärer Staat und die Entbehrungen der Kriegszeit weitere Einschränkungen für die individuelle Entfaltung mit sich bringen. Ein Totschlag aus Notwehr schließlich bringt eine der Töchter ins westliche Ausland, wo sie aber weiterhin unter der Aufsicht des Bruders bleibt.

Je weniger greifbar im direkten Gegenüber das Familienmitglied ist, um so größer ist der Wunsch der Kinder der nachgeborenen Generation, sich die familiären Vor-Bilder anzueignen. Diese Suchbewegung hält bis zum Ende des Romans an: Brilka, der der Roman gewidmet ist, lässt 12jährig ihre Reisegruppe in Amsterdam im Stich und versucht auf eigene Faust nach Wien zu kommen. Sie will sich die Rechte an den Songs ihrer Tante sichern, um eigene Choreographien zu diesen zu entwickeln. Brilka bleibt – für mich ein Novum – ein eigenes Buch aus leeren Blättern vorbehalten, das offenbar das noch nicht abgeschlossene Leben dieser (vielleicht realen?) Person symbolisiert. Wieviel eigene Geschichte von Haratischwili bei diesem Roman Pate stand, bleibt aber glücklicherweise offen. Dass der Roman in Berlin endet, haben Autorin und Brilka und Niza jedenfalls gemein.

Fazit: Good value for the money, ein Roman, der zügig gelesen werden sollte, weil sonst das sehr umfangreiche Personal den Überblick gefährdet. (Es gibt allerdings einen Personenstammbaum in der Umschlagklappe.) Faszinierend die Verbindung von georgisch-russischer Zeitgeschichte und Familiengeschichte. Was wissen wir hier im Westen schon vom Leben im Osten?

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